Der Traum der Hebamme / Roman
erkannte wie seine Begleiter schon von weitem, dass sie an der Furt erwartet wurden. Doch darüber ärgerte er sich nur einen Augenblick lang, denn er war sich sicher, dass der reglos wartende Reiter in der Mitte sein Bruder war. Genau so etwas sah Dietrich ähnlich – sich persönlich einem aussichtslosen Kampf zu stellen! Dort drüben am anderen Saaleufer, das konnten wahrlich nicht einmal drei Dutzend Reiter sein. Vorerst größere Gefahr ging von den Bogenschützen aus, aber von denen machte noch keiner Anstalten, auf sie anzulegen. Vermutlich wollte es sein edelmütiger Bruder erst einmal mit Verhandeln versuchen.
Albrecht wog einen Moment lang ab, ob er einem seiner Schützen befehlen sollte, den Rivalen mit einem gut gezielten Pfeil zu töten, verwarf den Gedanken aber. Ein solch unritterliches Verhalten würde ihn nicht gut dastehen lassen. Die Tage seines Bruders waren ohnehin gezählt. Sollte der Jüngere ruhig um Gnade betteln!
Er hob den Arm, um seinen Männern das Zeichen zum Halten zu geben, zwanzig Schritte von der Furt entfernt.
»Bist du hier, um mich nach meiner langen Reise willkommen zu heißen, Bruder?«, rief Dietrich über den Fluss.
Albrecht riss an der Kandare seines unruhig stampfenden Hengstes. »Du hättest in der Wüste verrecken sollen!«, brüllte er zurück. »Oder dich von den Ungläubigen erschlagen lassen. Das wäre immer noch besser, als mit Schande bedeckt heimzukommen.«
Nach Zustimmung heischend, sah er kurz zu seinen Männern, dann rief er: »Du bist ein Eidbrüchiger! Kehre um nach Jerusalem und übergib mir Weißenfels. Der wahre Erbe des Hauses Wettin bin ich!«
»Das habe ich nie bestritten. Doch das gibt dir nicht das Recht,
mein
Land niederzubrennen«, antwortete Dietrich und zog sein Schwert.
»Was Recht ist, bestimmt der Stärkere!«, grölte Albrecht und reckte sein Schwert drohend in die Höhe. »Diese paar Steine und Wurzeln werden uns nicht aufhalten. Ergib dich, und ich lasse deine Männer am Leben. Sieh her, wir sind in zehnfacher Überzahl!«
Anstelle einer Antwort zogen sämtliche Ritter Dietrichs die Schwerter. Der Anführer der Bogenschützen kommandierte seine Männer hinter die Palisaden.
»Ihr brecht den Landfrieden. Sollte auch nur einer von euch den Fluss betreten, eröffnen wir den Kampf«, rief Dietrich hinüber.
»Nichts lieber als das!«, frohlockte sein Bruder. »Ihr werdet alle sterben. Wenn Weißenfels heute brennt, ist das deine Schuld.«
Auf Albrechts Befehl ließ auch Gerald Bogenschützen vorrücken.
»Schießt die Palisaden in Brand!«, schrie er.
Zwei Männer mit Fackeln ritten die Reihe der Schützen ab, damit diese die Brandpfeile entflammen konnten – Schäfte mit spindelförmigen kleinen Eisenkörben an der Spitze, in denen in Pech getränkte Leinenstreifen steckten.
Noch während die Brandpfeile flogen, schickte der Markgraf seine ersten Männer in den Fluss.
»Sollen wir nicht erst von ein paar gut gedeckten Männern die Hindernisse aus dem Fluss räumen lassen? Sonst sind unsere Verluste zu groß«, fragte der Marschall besorgt.
»Los, hinüber mit euch!«, brüllte Albrecht die Zögernden an.
»Ihr müsst in die Burg, Herr!«, rief Thomas Dietrich zu und lenkte seinen Hengst ein paar Schritte vor, um mit seinem Körper dem Grafen Deckung zu geben.
»Noch nicht!«, widersprach dieser.
Mehrere brennende Pfeile waren in die Palisaden eingeschlagen; die meisten erloschen zischend, weil die Pfähle vorsorglich mit Wasser getränkt worden waren. Einer der Schleuderer rannte vor, um die noch lodernden Geschosse aus dem Holz zu ziehen, und wurde von den Schützen am anderen Ufer niedergestreckt. Zwei seiner Gefährten zerrten den Verletzten hinter die Palisaden.
Der nächste Pfeilhagel brachte den Weißenfelsern weitere Verluste; zwei unvorsichtige Bogenschützen und eines der Pferde wurden durchbohrt.
Unterdessen hatten sich bereits drei Dutzend feindliche Reiter in die Furt gewagt und rückten näher.
Doch die geplante Wucht des Angriffs blieb aus. Sie konnten die Furt nicht so schnell und gerade durchqueren wie gewollt, sondern mussten alle paar Schritte nach links und rechts ausweichen, um die Hindernisse zu umreiten. Dabei boten die Leiber der Pferde reichlich Zielfläche.
»Pfeile!«, befahl Dietrich wieder und wieder, und rasch hatten die Feinde ernsthafte Verluste zu beklagen. Kaum jeder zweite Reiter schaffte es, die Furt zur Hälfte zu durchqueren, etliche wurden getroffen oder stürzten ins Wasser,
Weitere Kostenlose Bücher