Der Traum der Hebamme / Roman
Die Kammern waren zu niedrig, da konnten sie nicht zum Oberhau ausholen, und der Burghof und die Halle waren nicht nur überfüllt, dort würden sie auch jede Menge Aufsehen erregen. Doch die Zeit war knapp, und so entschied Lukas kurzerhand, alle aus der Halle hinauszuschicken.
Sie setzten ihre Polster und Kettenhauben auf, dann nahmen sie einander gegenüber Aufstellung. Jeder von ihnen trug Gambeson und Kettenhemd, auf Schilde verzichteten sie nach kurzer Absprache.
Lukas überließ Dietrich den ersten Hieb. Er war sehr gespannt darauf, seinen einstigen Schützling wieder im Kampf zu erleben. Christian und er hatten Dietrich eine gnadenlose Ausbildung zuteilwerden lassen, noch weit über das rigorose Maß hinaus, in dem die Knappen üblicherweise gescheucht wurden. Das war ihre sicherste Überlebenschance.
Blitzschnell wogte der Kampf hin und her, dessen Einzelheiten sich den im Schwertkampf ungeübten Betrachtern in diesem Tempo kaum erschlossen.
Mal schien dieser, mal jener zu gewinnen, aber aus jeder scheinbar hoffnungslosen Lage kämpften sich die Männer mit einer verblüffenden Parade heraus.
»Christian wäre stolz auf Euch!«, sagte Lukas in einer Kampfpause mit offenem Lächeln. »Auch wenn Stolz eine Sünde ist. Bei allen Heiligen, Ihr bringt mich zum Schwitzen … Ich werde wohl alt.«
»Nein, ganz sicher nicht – so schnell, wie Ihr immer noch seid«, widersprach Dietrich von Herzen. »Ich bin geehrt, Christians und Euer Schüler gewesen zu sein.«
Er warf einen Blick zum Eingang der Halle: Norberts ältester Sohn kam mit eiligen Schritten zu ihnen.
»Hören wir, ob mein Bruder die Herausforderung annimmt.«
Gemeinsam liefen sie erneut zum Tor, und diesmal war klar, dass der Bote nicht wieder eingelassen würde. Die kurze Antwort – so oder so – konnte er auch rufen.
Albrecht war über das Angebot seines Bruders nicht weniger verblüfft als dessen Ritter. »Vielleicht sollte ich tatsächlich darauf eingehen, das spart uns Zeit und nachträgliche Rechtfertigungen«, meinte er begeistert nach Raimunds knappem Bericht.
Elmar schüttelte den Kopf. »Wenn Euer Bruder diesen Zweikampf sofort haben will, auf der Stelle, dann steckt etwas dahinter. Warum wartet er nicht bis heute Abend ab? Vielleicht haben sie ja jetzt schon nichts mehr zu fressen auf der Burg. Oder er kann die Leute aus anderen Gründen nicht bei Ruhe halten …«
Der Truchsess kniff die Augen leicht zusammen und sah zum hellen Fels hinüber. »Dort drüben ist etwas faul. Es könnte spannend werden, einfach zuzuschauen, wie die Dinge ihren Lauf nehmen.«
»Ich würde ihm zu gern den Kopf abschlagen«, meinte Albrecht, der hin- und hergerissen war, ob er die Herausforderung annehmen sollte oder nicht. Er fürchtete den Jüngeren nicht. Doch er hatte gestern Nacht reichlich getrunken, und heute schmerzte ihm der Kopf. Wollte Dietrich vielleicht deshalb sofort den Kampf?
Misstrauisch äugte Albrecht zu Raimund.
»Was habt Ihr denen erzählt?«, brüllte er ihn an.
»Nicht mehr, als Ihr mir aufgetragen habt, das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist! Danach wurde ich sofort weggeschickt. Die Gefolgsleute Eures Bruders waren selbst verwundert über den Vorschlag und schienen ihn für zu gefährlich zu halten.« So viel glaubte Raimund, sagen zu können, ohne den Freunden zu schaden.
Elmar winkte Gerald heran, den Marschall. »Ich bin sicher, er verschweigt uns etwas. Prügelt es aus ihm heraus, und danach legt ihn in Ketten!«
Gerald packte den Ritter an der Schulter und stieß ihn in sein Zelt. Mit einem Wink befahl er zwei seiner Männer zu sich. An dem Verräter würde er sich nicht die Hände dreckig machen.
»Ich denke, diesmal sollte ich selbst zum Tor reiten«, verkündete Elmar und rieb sich zufrieden die Hände. »Es wäre doch gelacht, wenn ich dabei nicht noch etwas Interessantes herausfinde.«
Er befahl einem Knappen, ihm schleunigst sein Pferd zu satteln und zu bringen, dann verneigte er sich vor Albrecht und ritt los.
Vor der Zugbrücke legte Elmar den Kopf in den Nacken, so weit es die Kante seines Helmes zuließ, und brüllte hinauf: »Dies ist Eure einzige Chance: Liefert die Burg dem Markgrafen von Meißen bis Sonnenuntergang aus. Sonst werdet Ihr das Blut unzähliger Menschen auf Euch laden.«
Um die meisten wird es nicht schade sein, ganz besonders nicht um den Pferdedieb neben dir, dachte der Truchsess, der Thomas deutlich erkannte. Doch das sprach er nicht aus – er wollte den
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