Der Traum der Hebamme / Roman
hatte das Gefühl, dass der Graf von Weißenfels an diesem Abend allein mit sich und seinen Gedanken sein wollte.
Deshalb sagte er nur: »Gott wird Seine schützende Hand über die Bedrängten halten«, sah zu, wie Dietrich in dem Zelt verschwand, das aus einer Leinenbahn als Schlafstatt für ihn errichtet worden war, wickelte sich in seinen Umhang und legte sich davor. Er hatte schon über Ottos jüngeren Sohn gewacht, als der noch Knappe bei Christian war, und beabsichtigte nicht, von dieser Gewohnheit abzurücken.
Conrad teilte sich mit ihm die Wache. Die Nacht würde kurz werden und der nächste Tag die Entscheidung bringen.
Bevor Lukas einschlief, ging ihm durch den Kopf, dass er im morgigen Kampf am liebsten an mehreren Orten gleichzeitig wäre. Er musste Graf Dietrich schützen, über Thomas wachen und würde ausnehmend gern Elmar und Rutger vor seinem Schwert haben. Und erneut klang ihm in den Ohren, was Marthe – die Sanfte, Mildtätige, die Friedensstifterin – vor einiger Zeit zu seinem großen Erstaunen gesagt hatte: »Wenn es Frieden geben soll in der Mark … wenn nicht Tausende Menschen geopfert werden sollen für die Willkür eines Menschen … dann wird früher oder später jemand Albrecht töten müssen.«
Vielleicht gelang ihm das morgen.
Er war bereit dazu.
Dafür betete er zum heiligen Georg, dem Schutzpatron der Ritter, bevor er auf dem unebenen und mit feuchtem Laub bedeckten Waldboden einschlief. Auf Bequemlichkeit konnte er verzichten, wenn es sein musste, und sein Gambeson und der dicke, gut gewalkte Umhang hielten die Nässe von ihm fern.
Trotzdem war Lukas steif vor Kälte, als im Morgengrauen das Signal zum Wecken gegeben wurde. Die Männer rüsteten sich und knieten gemeinsam nieder, um Gottes Beistand für diesen Tag zu erflehen.
Dann wurden Brot und Bier ausgeteilt, und während sie ihre Pferde sattelten, entzündeten zwei von ihnen auf Dietrichs Befehl das Leuchtfeuer als Signal für die Burgbesatzung.
Norbert von Weißenfels hatte bereits am Abend Ausschau gehalten, ob sich eine Streitmacht näherte – die thüringische von Süden oder die feindliche Verstärkung von Osten. Doch nichts Besonderes ließ sich erkennen, so dass er den Wachen nochmals einschärfte, die Umgebung im Auge zu behalten, und sich etwas Schlaf gönnte, ehe er am nächsten Tag seine Männer in eine Entscheidungsschlacht führen musste.
Schon vor dem Morgengrauen bezog er erneut Posten auf dem Turm und starrte in die Richtung, aus der er das Signal erwartete. Der Tag war kalt und neblig. In diesem Punkt schien das Schicksal es gut mit ihnen zu meinen: Albrechts Leute – er allerdings auch – würden die herannahende Streitmacht erst unmittelbar vor ihrem Eintreffen zu sehen bekommen. Und ein Feuer in der Ferne konnte dem Gegner zwar kaum entgehen, aber mit etwas Glück hielten sie es für eine in Brand geratene Kate oder einen falsch angelegten Meiler.
Fröstelnd trotz des Gambesons und des Kettenpanzers stand Norbert auf dem Turm, um den ein eisiger Herbstwind fauchte, und starrte in Richtung Süden.
Da, endlich! Erst war es nur Rauch, den er undeutlich auszumachen glaubte, doch bald konnte er erkennen, wie die Flammen immer höher züngelten.
Erleichtert hastete er die Stufen im Inneren des Turmes hinab.
Signal schlagen ließ er nicht, um die Feinde auf dem gegenüberliegenden Hügel, den die Weißenfelser nun schon »Klemmberg« nannten, nicht darauf aufmerksam zu machen, dass etwas im Gange war.
Doch seine Ritter und Sergenten, die sechs thüringischen Kämpfer eingeschlossen, waren längst auf den Beinen und zum Aufbruch bereit.
Auf sein Kommando wurden die Pferde gesattelt. Der Pater sprach einen Segen, dann saßen die Männer auf. Norbert nahm ausschließlich Berittene mit sich, darunter auch diejenigen Bogenschützen, die sicher im Sattel saßen und nun mit Guntrams Brandpfeilen ausgerüstet waren. Armbrustschützen, Fußvolk und einen Teil der Knappen blieben auf der Burg zurück. Sie sollten die Festung verteidigen, falls einzelne Gegner versuchten, über die Mauern zu gelangen.
Wer von den Männern und jungen Burschen kämpfen konnte, war auf den Wehrgängen postiert. Marthe ließ auf Norberts Geheiß kesselweise Wasser erhitzen, das über Angreifer gegossen werden konnte, sollten sie sich bis an die Mauern wagen.
Der Burgkommandant gab das Zeichen, Fallgitter und Tor zu öffnen und die Zugbrücke herabzulassen. Dann bekreuzigte er sich, bat den heiligen Georg um
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