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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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Pfützen befand, in denen sich Frösche tummelten. Der Latexgestank war entsetzlich, und Roger streifte der Gedanke, dieser Geruch gehe womöglich nicht von den großen Kautschukballen aus, sondern von dem zwergenhaften rothaarigen Männchen an seiner Seite.
    Normand hatte sein kleines Plädoyer gut vorbereitet. Das Leben im Busch, das er nunmehr seit sieben Jahren führe, bringe schreckliche Entbehrungen für jemanden mit sich, der wie er eine Ausbildung in London genossen habe. Er wolle nicht aufgrund von Missverständnissen und Verleumdungen Probleme mit dem Gesetz bekommen und seinen sehnsüchtigen Wunsch, nach England zurückzukehren, vereitelt sehen. Er schwor bei seiner Ehre, dass er kein Blut an den Händenhabe. Er sei streng, aber gerecht, und zeige sich bereit, alle Maßnahmen anzuwenden, die von der Kommission und dem »Herrn Konsul« für ein besseres Funktionieren der Gesellschaft vorgeschlagen würden.
    »Die Treibjagden und Entführungen der Eingeborenen müssen ein Ende haben«, begann Roger aufzuzählen, »Fußblock und Peitschen müssen verschwinden, jegliche körperliche Bestrafung muss abgeschafft werden, die Indios müssen für ihre Arbeit bezahlt werden, die Vorsteher, Aufseher und Jungs dürfen die Frauen und Töchter der Indios nicht mehr vergewaltigen und rauben, und es müssen Entschädigungen an die Familien derer bezahlt werden, die ermordet, lebendig verbrannt, denen Ohren, Nase, Hände oder Füße abgeschnitten wurden. Die Arbeiter dürfen nicht länger mit falsch geeichten Waagen und überteuerten Preisen in den Magazinen betrogen werden. Das für den Anfang. Und es wird noch einiger weiterer Reformen bedürfen, damit die Peruvian Amazon Company es verdient, sich ein britisches Unternehmen zu nennen.«
    Armando Normand war erbleicht und blickte ihn aufgelöst an.
    »Wollen Sie, dass die Peruvian Amazon Company dichtmacht?«, stammelte er schließlich.
    »Genau. Und dass allen Mördern und Folterern, der ehrenwerte Herr Julio C. Arana und Sie eingeschlossen, für ihre Verbrechen der Prozess gemacht wird und sie bis zum Ende ihrer Tage im Gefängnis sitzen.«
    Roger wendete sich ab und ließ den Vorsteher von Matanzas, dem es die Sprache verschlagen hatte, einfach stehen. Sofort bereute er, seiner Abscheu derart freien Lauf gelassen zu haben. Ein riesiger Fehler. Damit hatte er sich Normand zum Feind gemacht, der jetzt erst recht alles daransetzen würde, ihn aus dem Weg zu räumen. Normand war gewarnt und würde ohne langes Zaudern handeln.
    Wenige Tage später verriet Juan Tizón ihnen, Normand habe die Gesellschaft gebeten, ihn bar und in britischen Pfundauszuzahlen. Er werde gemeinsam mit der Kommission auf der Liberal nach Iquitos zurückfahren. Es war nicht schwer zu erraten, was er vorhatte. Mit Hilfe von Beziehungen die gegen ihn vorgebrachten Vorwürfe und Beschuldigungen herunterzuspielen und sich ins Ausland – vermutlich nach Brasilien – abzusetzen, wo er gewiss stattliche Ersparnisse hatte. Tizón nannte auch konkrete Zahlen: Seit fünf Jahren erhalte Normand zwanzig Prozent des in Matanzas gesammelten Kautschukwertes und eine »Prämie« über jährlich zweihundert Pfund, wenn der Ertrag des Vorjahres übertroffen würde. Die Aussicht, Normand ins Gefängnis bringen zu können, verschlechterte sich zusehends.
    Die folgenden Tage und Wochen waren von einer lähmenden Gleichförmigkeit geprägt. Die Anhörungen der Barbadier und Verständigen brachten weitere Schreckenstaten ans Licht. Roger spürte, wie ihn die Kräfte verließen. Fieberschübe an den Nachmittagen ließen ihn einen erneuten Malariaanfall befürchten, worauf er die Chinindosis erhöhte. Aus Angst, Armando Normand oder einer der anderen Vorsteher könnte seine Notizhefte vernichten, in denen er die Zeugenaussagen protokolliert hatte, trug er seine Papiere stets bei sich und ließ sie niemanden auch nur anfassen. Nachts verwahrte er sie unter der Matratze oder in der Hängematte, und nie schlief er ohne einen geladenen Revolver in Reichweite.
    Eines Tages, sie packten gerade ihre Sachen für die Rückkehr nach Iquitos, sah Roger etwa zwanzig Träger aus dem Dorf Naimenes in der Station La Chorrera eintreffen, die Kautschuk brachten. Es waren Männer und Halbwüchsige, unter ihnen ein neun- oder zehnjähriger magerer Junge, der auf dem Kopf eine Kautschukwurst trug, die um einiges größer war als er selbst. Roger begleitete sie bis zur Waage, wo Víctor Macedo die Bündel entgegennahm. Das Bündel des Jungen,

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