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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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namens Negretti geleitet, einem Mestizen mit Schlitzaugen und einem Goldzahn, der immer einen Zahnstocher im Mund hatte und dessen dröhnende Stimme das Heer ausgezehrter, mit Narben und Wundmalen übersäter Indios, darunter viele Frauen und sogar Kinder, in panische Angst versetzte. Negretti trug ein Gewehr geschultert, eine Revolvertasche und eine Peitsche am Gürtel. Bevor sie loszogen, hatte Roger ihn gebeten, ihn fotografieren zu dürfen, was Negretti ihm grinsend gestattete. Doch Negretti verging das Grinsen, als Roger auf die Peitsche zeigte und sagte:
    »Sollte ich Zeuge werden, dass Sie damit die Eingeborenen schlagen, werde ich Sie persönlich der Polizei von Iquitos übergeben.«
    Negretti sah ihn verdutzt an und murmelte:
    »Haben Sie irgendeine Vollmacht von der Gesellschaft?«
    »Ich habe die mir von der britischen Regierung übertragene Vollmacht, die Übergriffe in Putumayo zu untersuchen. Sie wissen doch, dass die Peruvian Amazon Company , für die Sie arbeiten, britisch ist, oder?«
    Verunsichert entfernte sich der Mestize. Und Roger sah ihn tatsächlich gegen keinen der Träger die Peitsche erheben, er begnügte sich damit, sie schreiend anzutreiben oder wüst zu beschimpfen, wenn sie die Würste aus Kautschuk fallen ließen, weil sie stolperten oder am Ende ihrer Kräfte waren.
    Roger wurde von den Barbadiern Bishop, Sealy und Lanebegleitet. Die übrigen neun, die sich kooperativ gezeigt hatten, waren mit der Kommission zurückgeblieben. Roger hatte den Kommissionsmitgliedern geraten, sie nie aus den Augen zu verlieren, da die Gefahr bestehe, Normand oder seine Kumpanen könnten sie einschüchtern oder bestechen oder möglicherweise sogar ermorden wollen. Das Schlimmste an der Expedition waren nicht die dicken blauen Fliegen, die sie Tag und Nacht plagten und zerstachen; noch die Unwetter, die über sie hereinbrachen, sie bis auf die Knochen durchnässten und den Boden in einen unwegsamen Schlamm verwandelten; noch die unbequemen Lager, in denen sie, nach einer Dose Sardinen oder einem Teller Suppe und ein paar Schlucken Whisky oder Tee mehr schlecht als recht die Nacht verbrachten. Große Gewissensnot verspürte Roger angesichts der nackten, unter dem schweren Gewicht der Kautschukballen gekrümmten Indios, die Negretti und seine Jungs erbarmungslos vorantrieben und denen sie während der kurzen Pausen nichts zu essen gaben. Als er Negretti fragte, warum nicht auch die Indios Essensrationen erhielten, blickte der Aufseher ihn verständnislos an. Als Bishop ihm die Frage erklärte, sagte Negretti völlig arglos:
    »Die mögen nicht, was wir Christen essen, die haben ihre eigene Nahrung.«
    Doch die hatten sie nicht, denn das bisschen Maniokmehl oder die zusammengerollten Blätter und Pflanzen, die sie sich von Zeit zu Zeit in den Mund steckten, konnte man wohl kaum als solche bezeichnen. Für Roger war es unverständlich, wie zehn- oder zwölfjährige Kinder stundenlang die zwischen zwanzig und dreißig Kilo schweren Kautschukrollen – er hatte sie selbst probeweise geschultert – tragen konnten. Am ersten Tag brach ein Bora-Junge unter der Last zusammen und fiel hin. Er wimmerte, als Roger versuchte, ihn mit etwas Dosensuppe wieder auf die Beine zu bringen. Mit gehetztem Blick versuchte der Junge zweimal vergeblich, aufzustehen. Bishop erklärte: »Er hat solche Angst, weil Negretti ihm, wären Sie nicht hier, eine Kugel in den Kopf jagen würde, als Warnung für die anderen, damit ihnen nicht etwa einfällt, ohnmächtigzu werden.« Der Junge kam nicht mehr hoch, sie zogen ohne ihn weiter. Roger gab ihm zwei Konservenbüchsen und seinen Regenschirm. Jetzt begriff er, wie diese schmächtigen Wesen solche Gewichte tragen konnten; sie wussten, dass man sie töten würde, wenn sie die Dreistigkeit besäßen, bewusstlos zu werden.
    Am zweiten Tag fiel eine Frau bei dem Versuch, mit dreißig Kilogramm Kautschuk auf dem Rücken eine Anhöhe zu erklimmen, vor Erschöpfung tot um. Nachdem Negretti sich von ihrem Ableben überzeugt hatte, verteilte er mit verärgerter Miene die »Würste« der Toten schnell auf andere Eingeborene.
    In Entre Ríos machte sich Roger nach kurzer Rast direkt daran, die Vorkommnisse während der Reise und seine Überlegungen dazu festzuhalten. Ein Gedanke, der ihm später zu einer Art Leitmotiv werden sollte, ließ ihn dabei nicht mehr los: »Wir dürfen nicht zulassen, dass die Kolonisierung den Geist der Iren so kastriert, wie sie den der Indios kastriert hat. Wir müssen

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