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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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unmenschliche Weise misshandelt würden, erklärte er abfällig und keineswegs eingeschüchtert:
    »Würden Sie hier leben, dächten Sie anders.« Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Tiere kann man nicht wie menschliche Wesen behandeln. Eine Anakonda, ein Jaguar oder ein Puma kennen keine Vernunft. Die Wilden auch nicht. Aber was soll’s, Durchreisende können solche Dinge nicht begreifen.«
    »Ich habe zwanzig Jahre in Afrika gelebt und mich nicht in ein Ungeheuer verwandelt«, sagte Roger. »Aber genau das sind Sie, Mr. Normand. Ihr Ruf eilt Ihnen voraus. Es sind unfassbare Gräuelgeschichten, die man sich in Putumayo über Sie erzählt, wissen Sie das?«
    Armando Normand zeigte keinerlei Regung. Ausdruckslos starrte er Roger an, zuckte die Achseln und spuckte auf den Boden.
    »Darf ich Sie fragen, wie viele Menschen und Frauen Sie getötet haben?«, fragte Roger unumwunden.
    »So viele wie nötig«, entgegnete der Vorsteher in gleichmütigem Tonfall und stand auf. »Entschuldigen Sie mich. Ich habe zu arbeiten.«
    Rogers Widerwille war so groß, dass er beschloss, Normands Befragung nicht selbst durchzuführen, sondern der Kommission zu überlassen. Dieser Mörder würde ihnen ohnehin nur Lügen auftischen. Roger redete stattdessen mit den Barbadiern und Verständigen, die zu einer Aussage bereit waren. Das beanspruchte seine Vormittage und Nachmittage, den Rest der Zeit brachte er damit zu, die Notizen zu ordnen, die er sich während der Anhörungen gemacht hatte. Von seinen morgendlichen Ausflügen zum Fluss abgesehen, wo er badete und fotografierte, arbeitete er unermüdlich – er merkte mit der Zeit, dass er deutlich an Gewicht verlor –, bis er spätabends erschöpft in einen unruhigen Schlaf fiel.
    Er fühlte sich ausgelaugt und angegriffen. Wie schon imKongo befürchtete er, diese Gemengelage aus Verbrechen, Gewalttaten und Scheußlichkeiten jeder Art würden ihn langsam um den Verstand bringen. Mutlos dachte er, dass man den Menschen in England wahrscheinlich nur schwer würde vermitteln können, welche rohen Sitten unter den »Weißen« und »Mestizen« in Putumayo herrschten. Man würde ihn der Voreingenommenheit bezichtigen, ihm vorwerfen, zu übertreiben und die Ereignisse und Zustände zu dramatisieren. Und nicht zuletzt setzte ihm die Gewissheit zu, nach allem, was er gesehen und gehört hatte, niemals wieder optimistisch in die Welt blicken zu können.
    Als er erfuhr, dass eine Expedition von Lastenträgern im Begriff war, eine größere Ladung Kautschuk zunächst nach Entre Ríos und von dort nach Puerto Peruano zu transportieren, kündigte er seinen Reisegefährten an, er werde sie begleiten. Die Kommission könne derweil in Matanzas bleiben, bis sie alle Inspektionen und Anhörungen abgeschlossen hätte. Die anderen waren ebenso erschöpft und entmutigt wie er. Sie erzählten ihm, Armando Normands unverschämtes Verhalten sei unversehens in Unterwürfigkeit umgeschlagen, als man ihm mitteilte, der »Herr Konsul« habe den Auftrag, die Übergriffe in Putumayo zu untersuchen, direkt von Sir Edward Grey erhalten, dem Außenminister der britischen Krone, und dass die mutmaßlichen Mörder und Folterer, da sie für eine englische Gesellschaft arbeiteten, in England vor Gericht gestellt werden könnten. Vor allem, wenn sie im Besitz der englischen Staatsbürgerschaft seien oder diese erwerben wollten, was möglicherweise bei ihm der Fall sei. Auch eine offizielle Auslieferung an die peruanische oder kolumbianische Regierung sei denkbar. Von diesem Moment an habe Normand sich ausgesprochen beflissen und kooperativ gezeigt. Er habe zwar alle ihm zur Last gelegten Vergehen abgestritten, ihnen aber versichert, die Fehler der Vergangenheit gutzumachen: Die Eingeborenen würden von nun an gut ernährt, im Krankheitsfall gepflegt, für ihre Arbeit bezahlt und wie Menschen behandelt werden. Er hatte mitten im Lager ein Schild aufstellenlassen, auf dem ebendies stand, was vollkommen lächerlich war, da die Eingeborenen und ein Großteil der Verständigen Analphabeten waren. Es war allein für die Augen der Kommission bestimmt.
    Der Fußmarsch durch den Urwald von Matanzas bis Entre Ríos mit den achtzig Indios – Boras, Andokes und Muinanes  –, die auf ihren Schultern das von Armando Normands Leuten gesammelte Kautschuk trugen, sollte für Roger zu einer der schrecklichsten Erfahrungen seiner ersten Peru-Reise werden. Die Expedition wurde nicht von Normand, sondern einem seiner Stellvertreter

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