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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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nach der Geburt des Jungen abgehauen, da waren wir beide allein«, sprach der Sheriff plötzlich in die Dunkelheit, und Roger erschrak. »Ich habe nie wieder von ihr gehört. Sie hieß Hortensia, sie war nicht ganz richtig im Kopf. Ich musste dem Kind Vater und Mutter zugleich sein.«
    Roger konnte jetzt nicht einmal mehr die Umrisse des Wächters ausmachen. Dessen Stimme war sehr nah und klang ganz eigenartig, wie ein wehklagendes Tier.
    »Die ersten Jahre kostete es mich beinahe mein ganzes Gehalt, eine Frau zu bezahlen, die ihn stillte und aufzog«, fuhr der Sheriff fort. »Alle freie Zeit habe ich mit ihm verbracht. Er war ein lieber, gehorsamer Junge, hat nie Unsinn gemacht oder gestohlen oder getrunken. Er ging bei einem Schneidermeister in die Lehre, der große Stücke auf ihn hielt. Er hätte es da zu etwas bringen können, wenn er es sich nicht in den Kopf gesetzt hätte, trotz seiner Plattfüße Soldat zu werden.«
    Roger wusste nicht, was er sagen sollte. Der Sheriff tat ihm leid, und er hätte ihn gern getröstet, doch wie hätte er den tiefen Schmerz dieses armen Mannes lindern können? Er hätte ihn gern nach seinem Namen und dem Namen des toten Sohnes gefragt, so hätte er sich beiden näher gefühlt, doch er wollte ihn nicht unterbrechen.
    »Ich habe zwei Briefe von ihm bekommen«, sagte der Sheriff. »Einen während seiner Ausbildung. Das Kasernenleben gefiel ihm, er wollte nach dem Krieg in der Armee bleiben,schrieb er. Sein zweiter Brief hörte sich ganz anders an. Viele Absätze waren von der Zensur schwarz gestempelt. Er beklagte sich nicht, aber aus seinen Worten sprach Bitterkeit, sogar ein wenig Angst. Dann kam nichts mehr von ihm. Bis die Armee mir mit einem Beileidsbrief seinen Tod mitteilte. Er habe in der Schlacht von Loos ein heldenhaftes Ende gefunden. Ich habe auf einer Landkarte nachgesehen, wo Loos liegt. Irgend so ein Nest.«
    Zum zweiten Mal hörte Roger den wimmernden Laut, wie das Fiepen eines Vogels. Und es kam ihm vor, als würde der Schatten des Sheriffs zucken.
    Was würde mit den dreiundfünfzig irischen Patrioten geschehen? Würde die deutsche Heeresleitung die Abmachungen einhalten und es der kleinen Brigade erlauben, in dem Lager zusammenzubleiben? Sicher war es nicht. Bei seinen Unterredungen mit Hauptmann Nadolny in Berlin war Roger nicht entgangen, welche Verachtung die deutschen Militärs für dieses lächerliche Kontingent einer halben Hundertschaft hegten. Wie anders war ihre Haltung anfangs gewesen, als sie sich von Rogers Begeisterung hatten überzeugen lassen. Sie hatten alle irischen Kriegsgefangenen im Lager von Limburg zusammengelegt, weil er davon ausging, dass Hunderte sich über kurz oder lang der Irischen Brigade anschließen würden. Welch enttäuschendes Scheitern! Das schmerzhafteste seines ganzen Lebens. Ein Scheitern, das ihn der Lächerlichkeit preisgab und seine patriotischen Träume zunichtemachte. Worin hatte sein Irrtum bestanden? Laut Monteith darin, dass er sich an alle zweitausendzweihundert Gefangenen auf einmal gerichtet hatte, statt an kleinere Gruppen. Es wäre durchaus möglich gewesen, mit jeweils zwanzig oder dreißig zu diskutieren, auf Einwände einzugehen, Unklarheiten zu beseitigen. Doch wie sollte man das gegenüber einer Schar von Männern tun, die sich von der erlittenen Niederlage und Gefangennahme geschmäht und erniedrigt fühlten? Das Einzige, was sie Rogers Worten entnahmen, war seine Bitte, dass sie sich mit ihren Feinden verbünden sollten, deshalb reagierten sie soaggressiv. Obwohl Roger das durchaus verstand, verbitterte es ihn, von Landsleuten, für die er seine Zeit, seine Ehre und seine Zukunft geopfert hatte, als Verräter, Kakerlake, Judas beschimpft zu werden. Er dachte daran, wie Herbert Ward sich über seinen Nationalismus lustig gemacht und ihn ermahnt hatte, der Realität ins Auge zu sehen, aus diesem »Traum des Kelten« endlich aufzuwachen.
    Am Vorabend seiner Abreise nach Irland, am 11. April 1916, schrieb Roger einen Brief an Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg, in dem er ihm in Erinnerung rief, was sie hinsichtlich der Irischen Brigade vereinbart hatten. Dieser Vereinbarung nach durften die Brigadiers nur für einen bewaffneten Kampf nach Irland geschickt und unter keinen Umständen als Ersatzstreitkräfte des deutschen Heers an anderen Kriegsschauplätzen verwendet werden. Desgleichen war festgehalten worden, dass die Soldaten der Irischen Brigade, sollte Deutschland nicht siegreich aus dem Krieg

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