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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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der widerspruchsvolle menschliche Geist ebenso hervorzubringen vermochte wie jene Art von Bosheit, deren Zeuge er in den Kautschukstationen von Julio C. Arana geworden war.

XI
    Roger war nicht besonders überrascht, als der Sheriff die Zellentür öffnete, wortlos eintrat und sich zu ihm auf die Pritsche setzte. Seit er ihn unter Missachtung der Vorschriften hatte duschen lassen, waren sie sich nähergekommen. Aus welchen Gründen auch immer, der Sheriff schien keinen Hass mehr gegen ihn zu hegen.
    Es war die Stunde der Dämmerung, die Umrisse der breiten, kegelförmigen Gestalt des Sheriffs hoben sich gegen die einsetzende Dunkelheit ab. Roger hörte ihn tief und beschwerlich atmen.
    »Mein Sohn hatte Plattfüße, er hätte ausgemustert werden können«, stammelte der Sheriff aufgewühlt. »In Hastings wollte man ihn zunächst nicht nehmen. Aber er hat nicht klein beigegeben und hat es woanders versucht. Er wollte unbedingt in den Krieg. Können Sie sich das vorstellen?«
    »Er liebte sein Land, er war ein Patriot«, sagte Roger leise. »Sie sollten stolz auf Ihren Sohn sein, Sheriff.«
    »Was bringt es mir, dass er ein Held war, jetzt ist er tot«, entgegnete der Wärter düster. »Er war alles, was ich hatte. Es ist, als hätte ich mit ihm aufgehört zu existieren. Manchmal komme ich mir vor wie ein Gespenst.«
    Im Dunkel der Zelle hatte Roger den Eindruck, als hörte er den Sheriff leise weinen, aber vielleicht täuschte er sich auch. Er erinnerte sich an die dreiundfünfzig Freiwilligen der Irischen Brigade, die in dem kleinen Lager in Zossen zurückgeblieben waren, wo Monteith sich trotz der widrigen Umstände so zuversichtlich um ihre militärische Ausbildung gekümmert hatte. Die Fragen, die er sich schon viele Male gestellt hatte, begannen ihn erneut zu quälen. Was mochten die Freiwilligen gedacht haben, als Monteith, Bailey und er von heuteauf morgen einfach verschwunden waren? Galten sie ihnen als Verräter, weil sie sie sich selbst überlassen hatten, in den Händen der Deutschen, von den übrigen irischen Gefangenen in Limburg gehasst, die sie als Überläufer betrachteten? Diese dreiundfünfzig Patrioten, die selbstlos und voller Idealismus den Mut bewiesen hatten, ihren über zweitausend Gefährten im Lager von Limburg die Stirn zu bieten und sich für die Irische Brigade zu melden, um »gemeinsam mit, aber nicht als Teil« der deutschen Armee für Irlands Unabhängigkeit zu kämpfen, würden nie von den Debatten erfahren, die Roger sich mit der Obersten Heeresleitung der Deutschen geliefert hatte, um zu verhindern, dass die Brigadiers gemeinsam mit den zwanzigtausend Gewehren für die Volunteers auf der Aud nach Irland verfrachtet wurden.
    »Ich bin für diese dreiundfünfzig Brigadiers verantwortlich«, hatte Roger zu Hauptmann Rudolf Nadolny gesagt, dem Zuständigen für irische Angelegenheiten in der Obersten Heeresleitung in Berlin. »Ich habe sie angestiftet, aus der britischen Armee zu desertieren. Nach englischem Recht sind sie Fahnenflüchtige. Sie würden sofort gehängt, sollte die Royal Navy sie gefangen nehmen. Was unvermeidlich geschehen wird, wenn der Aufstand ohne militärische Unterstützung Deutschlands stattfindet. Ich kann meine Landsleute nicht in den sicheren und darüber hinaus unehrenhaften Tod schicken. Sie werden nicht mit den zwanzigtausend Gewehren nach Irland fahren.«
    Es war nicht leicht gewesen. Hauptmann Nadolny und die anderen Offiziere der Obersten Heeresleitung hatten versucht, ihn zu erpressen.
    »Na schön, dann werden wir den Führern der Irish Volunteers in Dublin und den Vereinigten Staaten eben mitteilen, dass die deutsche Regierung, angesichts Ihres Widerstandes gegen die Erhebung, von der Versendung der zwanzigtausend Gewehre und fünf Millionen Patronen absieht.«
    Er diskutierte, verhandelte, erklärte und musste dabei immer die Ruhe bewahren. Roger war nicht gegen den Aufstandgewesen, nur dagegen, dass die Volunteers und die Volksarmee sich in einer selbstmörderischen Aktion gegen das Empire opferten, was zwangsläufig geschehen würde, sofern nicht ein zeitgleicher Angriff der U-Boote, Zeppeline und Kommandos des Kaisers die britischen Streitkräfte ablenken würde. Die zwanzigtausend Gewehre waren natürlich unverzichtbar. Er selbst wollte diese Waffen nach Irland bringen und Tom Clarke, Patrick Pearse, Joseph Plunkett und den anderen Führern der Volunteers die Gründe darlegen, weshalb der Aufstand aufgeschoben werden müsse.
    »Seine Mutter ist

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