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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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Roger bei sich einzuquartieren. Arédomi und Omarino wurden in einer nahe gelegenen Pension untergebracht. Stirs wirkte nervös. Er sagte, in Iquitos herrsche eine spürbare Anspannung wegen des bevorstehenden Eintreffens von Richter Carlos A. Valcárcel und der Untersuchung gegen das Haus Arana. Rogers Rückkehr wurde mit allgemeiner Feindseligkeit aufgenommen, und der Konsul riet ihm, nicht allein auf die Straße zu gehen, ein Attentat auf ihn sei nicht auszuschließen.
    Nach dem Abendessen und ihrem üblichen Glas Portwein fasste Roger zusammen, was er in Putumayo gesehen und gehört hatte. Daraufhin fragte ihn Stirs, der mit ernster Miene zugehört hatte:
    »So schlimm wie im Kongo von Leopold II. also?«
    »Ich fürchte ja, vielleicht noch schlimmer«, antwortete Roger. »Obwohl es mir obszön vorkommt, Verbrechen dieser Ausmaße miteinander zu vergleichen.«
    In der Zwischenzeit hatte Lima einen neuen Präfekten entsandt. Im Unterschied zu seinem Vorgänger stand EstebanZapata nicht auf Julio C. Aranas Gehaltsliste. Offenbar blieb er auf Distanz zu Pablo Zumaeta und den übrigen leitenden Angestellten der Gesellschaft. Er wusste über Rogers Eintreffen Bescheid und erwartete ihn ungeduldig.
    Die Unterredung zwischen Roger und dem Präfekten fand am darauffolgenden Vormittag statt und dauerte über zwei Stunden. Zapata war ein junger dunkelhaariger Mann mit höflichen Umgangsformen. Trotz der Hitze – der Schweiß rann an ihm herab, und unablässig wischte er sich mit einem großen lilafarbenen Stofftaschentuch übers Gesicht – legte er sein Kordsamtsakko nicht ab. Er hörte Roger aufmerksam zu, zeigte sich erstaunt, unterbrach ihn bisweilen mit der Bitte um Präzisierung oder brachte seine Empörung zum Ausdruck (»Wie furchtbar! Wie entsetzlich!«). Immer wieder bot er ihm frisches Wasser an. Roger erzählte ihm alles, mit zahlreichen Einzelheiten, Namen, Zahlen, Orten, er konzentrierte sich auf die Tatsachen und vermied persönliche Bemerkungen, und erst am Ende seiner Darstellung fügte er hinzu:
    »Kurz gesagt, Herr Präfekt, die Vorwürfe von Saldaña Roca und Hardenburg waren nicht übertrieben. Im Gegenteil, was die Londoner Zeitschrift Truth veröffentlicht hat, kommt noch lange nicht an die ganze Wahrheit heran, so unglaublich es auch scheinen mag.«
    Es klang ehrlich betroffen, als Zapata sagte, er schäme sich für Peru. Dies könne geschehen, weil der Staat noch nicht bis in diese abgelegenen Regionen vorgedrungen sei und es dort weder Gesetz noch Ordnung gebe. Doch die Regierung sei entschlossen, zu handeln. Deshalb sei er hier. Deshalb treffe binnen Kürze ein so unbestechlicher Richter wie Valcárcel ein. Präsident Leguía höchstpersönlich wolle die Ehre Perus wiederherstellen und diesen abscheulichen Missbräuchen ein Ende bereiten. So habe er es ihm selbst gesagt, mit diesen Worten. Die Regierung Seiner Majestät würde sich davon überzeugen können, dass die Schuldigen bestraft und die Eingeborenen von nun an beschützt würden. Er fragte, ob Rogers Bericht veröffentlicht werden würde. Als Roger entgegnete,sein Bericht sei prinzipiell nur für den internen Gebrauch bestimmt, allerdings würde die britische Regierung zweifellos eine Durchschrift an die peruanische Regierung schicken, damit diese über eine mögliche Veröffentlichung entscheiden solle, atmete der Präfekt erleichtert auf:
    »Ein Glück!«, rief er aus. »Es würde dem Ruf unseres Landes ungemein schaden, sollte all das bekannt werden.«
    Roger war versucht, zu sagen, am meisten schade Peru nicht der Bericht, sondern das, was er dokumentiere. Doch dann wollte der Präfekt wissen, ob die Barbadier, die ihn nach Iquitos begleitet hatten, damit einverstanden wären, ihre Aussagen vor ihm zu wiederholen. Roger versprach, sie am nächsten Morgen in die Präfektur zu schicken.
    Stirs, der das Gespräch gedolmetscht hatte, verließ den Raum mit gesenktem Kopf. Roger war es nicht entgangen, dass der Konsul bei der Übersetzung ins Spanische etliche eigene Sätze hinzugefügt hatte, mit denen er die schrecklichen Schilderungen abzumildern versuchte. Das steigerte Rogers Argwohn gegenüber Stirs, der trotz seines Wissens um die vielen Missstände in Iquitos das Foreign Office darüber nie in Kenntnis gesetzt hatte. Der Grund dafür war ein denkbar einfacher: Juan Tizón hatte Roger verraten, dass Stirs in Iquitos Geschäfte betrieb und damit seinerseits von der Gesellschaft Aranas abhängig war. Fraglos war Stirs in Sorge, der

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