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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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nicht offen gesagt? Warum erreichte ihn diese Entscheidung über die deutschen Behörden? Vielleicht misstrauten sie ihm? Vielleicht schenkten sie den idiotischen, haarsträubenden Gerüchten Glauben, die von der britischen Regierung in Umlauf gebracht worden waren und die ihn als englischen Spion denunzierten? Ihn hatten diese Verleumdungen gar nicht weiter gekümmert, weil er stets davon ausgegangen war, dass seine Freunde und Gefährten darin eine Diffamierungskampagne des britischen Geheimdienstes erkennen würden, die Argwohn und Zwietracht unter den Nationalisten säen sollte. Jedenfalls war inzwischen wohl deutlich geworden, dass Roger Casement nach wie vor ein loyaler Verfechter der irischen Unabhängigkeitssache war. Hatten auch manche von denen, die in Kilmainham Gaol erschossen worden waren, an seiner Loyalität gezweifelt? Aber was galt jetzt noch das Verständnis der Toten?
    Der Sheriff stand auf, schlurfte zur Tür und sagte:
    »Es war nicht richtig, was ich getan habe. Ein Verstoß gegen die Vorschriften. Niemand darf mit Ihnen sprechen, erst recht nicht ich, der Sheriff. Aber ich konnte nicht mehr. Wenn ich nicht mit jemandem geredet hätte, wäre ich am Ende durchgedreht.«
    »Es hat mich gefreut, Sheriff«, wisperte Roger. »In meiner Situation ist es eine Erleichterung, mit jemandem zu sprechen. Ich bedauere nur, dass ich Ihnen keinen Trost spenden konnte.«
    Der Wächter grummelte etwas, öffnete die Zellentür und ging hinaus. Der Schlüssel drehte sich hörbar im Schloss.Roger legte sich auf die Seite, schloss die Augen und versuchte einzuschlafen, doch er wusste, dass er auch in dieser Nacht nicht zur Ruhe kommen und dass die Stunden bis zum Tagesanbruch unendlich langsam vergehen würden.
    Er dachte darüber nach, was der Sheriff über seinen Sohn gesagt hatte, dass er wohl gestorben sei, ohne eine Frau berührt zu haben. Armer Junge. Neunzehn oder zwanzig Jahre alt geworden zu sein, ohne je Lust empfunden zu haben, die fieberhafte Besinnungslosigkeit, das Innehalten der Welt, diese kurze Ewigkeit, die alle Fasern des Körpers durchdrang und die Seele zutiefst erschütterte. Er selbst wäre vielleicht auch unberührt gestorben, wenn er mit zwanzig Jahren nicht nach Afrika gegangen, sondern in Liverpool als Angestellter der Elder Dempster Line geblieben wäre. Frauen gegenüber war er vielleicht noch schüchterner, als es der plattfüßige junge Alex Stacey gewesen war. Er erinnerte sich an die Witzeleien, mit denen seine Cousinen, vor allem Gee, ihn zum Erröten gebracht hatten. Sie mussten nur ein Mädchen erwähnen, zum Beispiel sagen: »Hast du gesehen, wie Dorothy dich ansieht?« oder »Hast du gemerkt, dass Malina immer versucht, sich beim Picknick neben dich zu setzen? Du gefällst ihr, gefällt sie dir auch?« – und schon war es ihm unangenehm. Er verkrampfte, begann zu stammeln und zu stottern, dummes Zeug zu reden, bis Gee und ihre Freundinnen loslachten und ihm sagten: »Das war ein Scherz, hab dich doch nicht so!«
    Allerdings war sein ästhetisches Empfinden schon früh sehr ausgeprägt gewesen, er fühlte sich von schönen Gesichtern und Körpern angesprochen, einer harmonischen Silhouette, einem lebhaften Blick, einer schmalen Taille, von muskulösen Gliedmaßen, die an die selbstvergessene Kraft eines Raubtiers erinnerten. Und in Afrika schließlich war ihm bewusst geworden, dass die verbotene Schönheit, die ihn am meisten erregte und in inneren Aufruhr versetzte, nicht die weibliche, sondern die männliche war. Vorher hatten seine puritanische Erziehung und die rigide Prüderie seiner Familie ein solches sexuelles Erwachen verhindert. Wo er herkam, wurde jeglicheAnziehung zwischen Personen desselben Geschlechts als eine verabscheuenswerte Entgleisung betrachtet, als Verbrechen verurteilt und als Sünde verdammt. In Magherintemple, dem Haus seines Großonkels John in Antrim, und bei seinem Onkel und seiner Tante in Liverpool waren ihm Fotografien schöner, schlanker Männerkörper in die Hände geraten, an denen er sich – allein mit den Augen und im Geiste – erfreut hatte, deren Reiz jedoch rein ästhetischer Natur gewesen war, wie er sich selbst weiszumachen versucht hatte.
    Afrika, dieser ebenso schreckliche wie herrliche Kontinent, bot neben unsagbarem Leid auch große Freiheiten, die Menschen wurden dort auf unvorstellbare Weise misshandelt, konnten andererseits aber ihre Leidenschaften, Fantasien, Sehnsüchte und Träume ausleben, ohne all die Vorurteile und

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