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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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um die Gläubiger zu befriedigen, veranlassten diese gerichtliche Verfügungen, um seine sämtlichen Konten in England zu sperren. So löste sich Aranas Privatvermögen ebenso rasant in Luft auf wie sein Geschäftswesen. Zu dem durch die asiatische Konkurrenz verursachten Preisverfall des Kautschuks aus dem Amazonasgebiet kam noch der Beschluss etlicher europäischer und amerikanischer Importeure hinzu, keinen peruanischen Kautschuk mehr zu kaufen, solange eine unabhängige internationale Kommission nicht nachgewiesen habe, dass es keine Sklavenarbeit, Folterungen und Überfälle auf Eingeborenenstämme mehr gäbe, die Latexsammlerin den Kautschukstationen gerecht entlohnt und die in England und den Vereinigten Staaten gültigen Arbeitsgesetze eingehalten würden.
    Es gab keine Gelegenheit mehr, diese illusorischen Forderungen auch nur ansatzweise zu verwirklichen. Die panische Flucht der wichtigsten Stationsvorsteher und Aufseher angesichts einer möglichen Festnahme führte in der gesamten Gegend zu einer Art Anarchie. Viele Indios – ganze Gemeinschaften – nutzten die Gunst der Stunde und liefen ebenfalls davon, so dass die Kautschukgewinnung auf ein Minimum sank und bald ganz zum Erliegen kam. Die Justizflüchtigen hatten Warenlager und Geschäftsräume geplündert und alles mitgenommen, was auch nur annähernd von Wert war. Dann erfuhr man, dass das Unternehmen den entlaufenen Mördern, aus Angst, sie könnten bei künftigen Prozessen als Kronzeugen der Anklage aussagen, mit hohen Summen zur Flucht verholfen und ihr Schweigen erkauft hatte.
    Roger wurde durch die Briefe seines Freundes George Michell über die Vorgänge in Iquitos auf dem Laufenden gehalten. Michell schrieb, Hotels und Restaurants würden geschlossen, ebenso Geschäfte, in denen früher Importartikel aus Paris und New York verkauft wurden, der einst so freigiebig entkorkte Champagner sei ebenso rar geworden wie Whisky, Cognac, Port und Wein. In den Kneipen und Bordellen würden jetzt nur noch scharfer Schnaps und ominöse Getränke ausgeschenkt, die angeblich aphrodisierende Wirkung besäßen, häufig jedoch nicht das sexuelle Verlangen der Konsumenten, sondern ihren Magen zum Explodieren brächten.
    Wie in Manaus war auch in Iquitos die Krise, die auf den Niedergang des Hauses Arana und der Kautschukgewinnung folgte, so fulminant wie vorher der Wohlstand, den die Stadt drei Jahrzehnte lang gekannt hatte. Als Erstes wanderten die Ausländer ab – Forscher, Fachleute, Techniker, Händler, Kaufleute, Wirte, Prostituierte, Zuhälter und Kuppler –, um in ihre Heimatländer zurückzukehren oder sich nach profitableren Regionen umzusehen.
    Die Prostitution verschwand nicht, doch sie nahm ein anderes Gesicht an. Die Brasilianerinnen und angeblichen Französinnen, die in Wirklichkeit polnischer, flämischer, türkischer oder italienischer Herkunft gewesen waren, wurden durch Mestizinnen und oft blutjunge Indiomädchen ersetzt, die als Hausangestellte gearbeitet und ihre Stellung verloren hatten, weil ihre Arbeitgeber entweder ebenfalls ihr Glück woanders versuchten oder wegen der wirtschaftlichen Krise nicht mehr für sie aufkommen konnten. In einem seiner Briefe lieferte Michell eine beklemmende Schilderung dessen, wie diese bis auf die Knochen abgemagerten fünfzehnjährigen Mädchen schrill geschminkt über die Uferpromenade von Iquitos spazierten und nach Kunden Ausschau hielten. Zeitungen und Zeitschriften wurden eingestellt, sogar das wöchentliche Verzeichnis der ein- und auslaufenden Schiffe wurde nicht weitergeführt, weil der früher so geschäftige Flussverkehr immer mehr abnahm, bis er so gut wie ganz zu existieren aufhörte. Iquitos sah sich von der großen weiten Welt endgültig isoliert, mit der es fünfzehn Jahre lang so regen Handel betrieben hatte, nachdem die Booth Line beschlossen hatte, die Frequenz ihrer Fracht- und Passagierdampferfahrten nach und nach zu reduzieren. Irgendwann verkehrten überhaupt keine Schiffe mehr. Bald sollte die Hauptstadt der Region Loreto ganz in die Vergangenheit zurückgeworfen und wieder nur ein gottverlassenes Nest im Herzen des Amazonasgebietes sein.
    Roger befand sich indessen in Dublin. Nach einem Arztbesuch wegen seiner anhaltenden Arthritis ging er eines Tages über den feuchten Rasen von St. Stephen’s Green, als ihm von weitem ein Franziskanermönch zuwinkte. Er war einer der vier Arbeiterpriester, die nach Putumayo gereist waren, um dort eine Mission zu gründen. Roger setzte sich mit

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