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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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Kanonendonnerns und Krawalls der Osterwoche. Herbert Ward kämpfte inmitten der irischen Aufständischen, der Irish Volunteers und der Irish Citizen Army für Irlands Unabhängigkeit! Wie konnte der menschliche Geist im Traum nur so absurde Szenerien ersinnen!
    Ihm kam wieder zu Bewusstsein, dass das britische Kabinett wenige Tage zuvor getagt hatte, ohne jedoch eine Entscheidung bezüglich des Gnadengesuchs getroffen zu haben. Das wusste er von seinem Anwalt, George Gavan Duffy. Was hatte das zu bedeuten? Warum dieser erneute Aufschub? Gavan Duffy wertete es als positives Zeichen: Die Minister waren sich uneinig, gelangten nicht zu der nötigen Einstimmigkeit. Es bestand also Hoffnung. Doch das Warten hieß auch, jeden Tag, jede Stunde, jede Minute vor Angst zahllose Tode zu sterben.
    Die Erinnerung an Herbert Ward erfüllte ihn mit Traurigkeit. Mit ihrer Freundschaft war es endgültig vorbei. Der Tod von Herberts Sohn Charles, der so jung, so strotzend vor Gesundheit im Januar 1916 an der Front von Neuve Chapelle gefallen war, hatte eine Kluft zwischen sie gerissen, die sich nie wieder schließen würde. Herbert war der einzige wirkliche Freund aus den afrikanischen Tagen gewesen. Vom erstenMoment an hatte Roger in diesem überlegenen, ein paar Jahre älteren Landsmann, der um die halbe Welt gereist und gebildeter war als alle anderen Europäer im Kongo, Stanley eingeschlossen, jemanden gesehen, von dem er vieles lernen und mit dem er seine Gedanken und Zweifel teilen könnte. Im Unterschied zu den übrigen Teilnehmern an Stanleys Expedition, die in Afrika nur Geld und Macht suchten, liebte Herbert das Abenteuer um des Abenteuers willen. Er war ein Mann der Tat, dabei leidenschaftlich der Kunst zugetan, und er brachte den Afrikanern respektvolles Interesse entgegen. Er beschäftigte sich mit ihren Glaubensvorstellungen, Bräuchen und religiösen Objekten, ihrem Schmuck und ihrer Kleidung, die ihn sowohl ästhetisch und künstlerisch wie auch in spiritueller Hinsicht faszinierten. Bereits damals hatte Herbert in seiner freien Zeit gezeichnet und kleine Skulpturen nach afrikanischen Motiven angefertigt. Im Laufe ihrer langen Gespräche, meist in der Dämmerung, wenn die Zelte aufgebaut waren, die Abendmahlzeit vorbereitet wurde und die anderen nach den Mühen eines langen Tagesmarsches rasteten, vertraute er Roger an, dass er sich eines Tages als Bildhauer in Paris niederlassen werde, »der Welthauptstadt der Kunst«. Doch seine Liebe zu Afrika verlor er nie. Im Gegenteil, sie wurde aus der Entfernung und mit der Zeit immer noch größer. Roger erinnerte sich an das Londoner Haus der Wards, am Chester Square 53, in dem zahllose afrikanische Skulpturen standen. Und an ihr Atelier in Paris, an dessen Wänden Lanzen, Speere, Pfeile, Schilder, Masken, Ruder und Messer jeglicher Form und Größe hingen. Unter den Köpfen der ausgestopften Raubtiere und auf den von Tierfellen bedeckten Ledersesseln sitzend, hatten sie nächtelang ihrer Reisen durch Afrika gedacht. Francis, die damals noch kleine Tochter der Wards, mit Spitznamen Cricket genannt, verkleidete sich manchmal mit afrikanischen Gewändern, Ketten und Schmuckstücken und tanzte einen Bakongo-Tanz, den ihre Eltern klatschend und mit einem monotonen Singsang begleiteten.
    Herbert war einer der wenigen, dem Roger gestand, wieenttäuscht er war, von Stanley, von Leopold II., von der Kolonisierung überhaupt, die den Afrikanern letztlich weder Modernität noch Fortschritt brächte. Herbert stimmte völlig mit ihm überein, dass der wahre Grund für die europäische Präsenz in Afrika nicht altruistischer, sondern rein ausbeuterischer Natur war.
    Dafür nahm Herbert Rogers Hinwendung zum irischen Nationalismus nie besonders ernst. Er machte sich freundschaftlich über ihn lustig, warnte ihn vor dem uniformierten Patriotismus mit Fahnen, Pauken und Trompeten, der auf Dauer stets einen Rückschritt in einen provinzlerischen Herdengeist bedeute und zur Verhöhnung der universalen Werte führe. Was diesen Weltbürger, als welchen Herbert sich selbst gern bezeichnete, nicht daran gehindert hatte, angesichts der ausufernden Gewalt des Weltkriegs im Patriotismus Zuflucht zu suchen wie Millionen andere Europäer auch. Aus dem Brief, mit dem er Roger die Freundschaft kündigte, sprachen all die patriotischen Gefühle, über die er früher gespottet hatte, sprach die Vaterlandsliebe, die ihm einmal primitiv und verachtenswert erschienen war. Und ebendieser Herbert Ward, dieser

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