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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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angewiderter Miene sofort bei. »Und sie zeugen von etwas noch Schlimmerem: Vergeudung. Diese verstümmelten Männer können nicht mehr arbeiten, ihre Leistung wäre minimal. Bei dem Mangel an Arbeitskräften hier ist das wahrlich kriminell. Bringen Sie mir die Soldaten, die diese Hände und Penisse abgeschlagen haben, und ich werde ihnen den Rücken wund peitschen, bis sie kein Blut mehr in den Adern haben.«
    Er seufzte beim Gedanken an die unvorstellbare Dummheit, die die Welt beherrschte. Dann nahm er einen Schluck Brandy und zog an seiner Zigarette.
    »Erlauben es die Gesetze oder militärischen Vorschriften, die Eingeborenen so zu verstümmeln?«, fragte Roger.
    Hauptmann Massard lachte auf, sein Gesicht war nicht mehr ganz so kantig, lustige Grübchen bildeten sich darin.
    »Sie verbieten es kategorisch«, erklärte er und wedelte dabei in der Luft herum. »Aber machen Sie diesen zweibeinigen Tieren erst einmal klar, was Gesetze und Vorschriften sind. Kennen Sie sie nicht? Wenn Sie schon so viele Jahre im Kongo sind, sollten Sie das aber. Es ist leichter, einer Hyäne oder einer Zecke etwas beizubringen als einem Kongolesen.«
    Er lachte wieder, doch beinahe im selben Moment wurde er von Wut ergriffen. Sein Ausdruck war jetzt hart und seine geschlitzten Äuglein verschwanden beinahe zwischen den wulstigen Lidern.
    »Ich werde Ihnen sagen, was hier los ist, und dann werden Sie schon verstehen«, fuhr er seufzend fort, im Voraus ermüdet darüber, etwas ausführen zu müssen, das so einleuchtend war wie die Erde rund. »Dem allen liegt eine ganz einfache Überlegung zugrunde«, sagte er und verscheuchte wieder, diesmal heftiger wedelnd, einen unsichtbaren Feind. »Die Force Publique darf keine Munition verschwenden. Wir können unseren Soldaten nicht erlauben, mit den Patronen, die wir ihnen austeilen, auf Affen, Schlangen und anderes ekliges Getier zu schießen, das sie, manchmal noch roh, vertilgen. Bei ihrer Ausbildung lernen sie, dass die Munition nur zurSelbstverteidigung verwendet werden darf, auf den Befehl eines Offiziers hin. Aber diese Neger begreifen einfach keine Befehle, da kann man sie auspeitschen, wie man will. Deshalb wurde diese Anweisung gegeben. Verstehen Sie jetzt, Herr Konsul?«
    »Nein, ich verstehe rein gar nichts, Hauptmann«, sagte Roger. »Was für eine Anweisung?«
    »Dass sie für jeden Schuss eine Hand oder den Penis desjenigen liefern müssen, auf den sie geschossen haben«, erklärte der Hauptmann. »Um zu beweisen, dass sie die Patronen nicht zum Jagen verpulvert haben. Eine recht vernünftige Form, der Munitionsverschwendung beizukommen, nicht wahr?«
    Er seufzte wieder und trank noch einen Schluck Brandy. Dann spuckte er aus und fuhr mit erneut aufwallender Wut fort:
    »Aber nein, verdammt. Weil diese Arschlöcher einen Weg gefunden haben, die Anweisung zu verhöhnen. Erraten Sie, wie?«
    »Keine Ahnung«, sagte Roger.
    »Ganz einfach. Indem sie lebenden Negern Hände und Penisse abschneiden, um vorzugeben, sie hätten auf Menschen geschossen, wenn sie tatsächlich Affen, Schlangen und anderen Schweinkram, den sie dann fressen, ins Visier genommen haben. Begreifen Sie jetzt, warum hier im Krankenhaus so viele arme Teufel ohne Hände und Schwänzlein sind?«
    Hauptmann Massard machte eine lange Pause und trank seinen restlichen Brandy aus. Er wirkte plötzlich traurig, sein Mund verzog sich weinerlich.
    »Wir tun, was wir können, Herr Konsul«, fügte er bedrückt hinzu. »Es ist alles andere als leicht, das versichere ich Ihnen. Diese Wilden sind nicht nur Rohlinge, sie sind außerdem von Geburt an verschlagen. Sie lügen, betrügen, haben keinerlei Gefühl oder Prinzipien. Nicht einmal die Angst bringt sie zur Vernunft. Ich versichere Ihnen, dass die Force Publique diejenigen hart bestraft, die anderen bei lebendigem Leib Hände und Schwänze abschneiden, um mit der staatlichen Munitionzu jagen und uns zu hintergehen. Besuchen Sie unsere Posten und überzeugen Sie sich selbst, Herr Konsul.«
    Die Unterhaltung mit Hauptmann Massard dauerte mindestens zwei Stunden, so lange, wie das Feuer zu ihren Füßen prasselte. Als sie Abschied voneinander nahmen, waren die vier baptistischen Pastoren längst schlafen gegangen. Der Offizier und der Konsul hatten den Brandy und den Wein ausgetrunken, trotzdem war Roger noch ganz klar im Kopf. Monate, Jahre später noch hätte er in allen Einzelheiten wiedergeben können, was Hauptmann Massard ihm erzählt hatte und wie der Alkohol sein

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