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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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den Weg freigemacht hatte. Er sprach mehrere Eingeborenensprachen und hatte das Vertrauen der Einheimischen gewonnen, vor allem der Leute aus Walla, »dieser Märtyrer«.
    Sie schlugen einen schmalen Pfad zwischen hohen Bäumen ein, von Zeit zu Zeit mussten sie Bäche übersteigen. Man hörte die Rufe der Vögel, und manchmal flog ein Schwarm Papageien kreischend über ihren Köpfen hinweg. Roger fielauf, wie sicher und ohne zu stolpern der Mönch durch den Busch marschierte, als sei er seit langem an diese Wanderungen quer durchs Dickicht gewöhnt. Unterwegs erzählte ihm Pater Hutot, was in Walla vorgefallen war. Da das bereits sehr drangsalierte Dorf das letzte Kontingent an Nahrungsmitteln, Kautschuk und Holz nicht vollständig abliefern und auch nicht die von den Behörden verlangten Arbeitskräfte hatte stellen können, wurde eine Delegation von dreißig Soldaten der Force Publique unter dem Befehl von Leutnant Tanville aus der Garnison von Coquilhatville dorthin abkommandiert. Als sie anrückten, flüchteten alle Bewohner in die Berge. Doch die Dolmetscher spürten sie auf und versicherten ihnen, sie könnten zurückkehren, es werde ihnen nichts geschehen. Leutnant Tanville wolle ihnen nur die neuen Verfügungen erläutern und mit dem Dorf verhandeln. Das Oberhaupt ordnete die Rückkehr an. Kaum waren sie im Dorf angelangt, fielen die Soldaten über sie her. Männer und Frauen wurden an Bäume gefesselt und ausgepeitscht. Eine Schwangere, die sich zum Urinieren entfernte, wurde von einem Soldaten niedergeschossen, weil er glaubte, sie wollte fliehen. Zehn Frauen wurden als Geiseln in die Maison d’Otages von Coquilhatville mitgenommen. Leutnant Tanville gab Walla eine Woche Frist, das Kontingent zu erfüllen, unter der Androhung, andernfalls die zehn Frauen zu erschießen und das Dorf niederzubrennen.
    Als Pater Hutot wenige Tage nach diesen Vorfällen in Walla eintraf, sah er sich mit einer entsetzlichen Situation konfrontiert. Um die noch ausstehenden Quoten einzuhalten, hatten Familien des Dorfes ihre Söhne und Töchter und zwei der Männer ihre Frauen an Sklavenhändler verkauft, die heimlich durchs Land zogen. Der Trappistenmönch schätzte die verkauften Kinder und Frauen auf mindestens acht, es konnten aber auch mehr sein. Die Bewohner waren in Panik. Sie hatten Leute ausgeschickt, um Kautschuk und Lebensmittel zum Begleichen ihrer Schuld zu kaufen, waren sich aber nicht sicher, ob das Geld der Sklavenhändler ausreichen würde.
    »Können Sie glauben, dass so etwas in dieser Welt geschieht, Herr Konsul?«
    »Ja, mon père . Inzwischen glaube ich alles Böse und Schreckliche, was man mir erzählt. Wenn ich etwas im Kongo gelernt habe, dann, dass es keine blutrünstigere Bestie gibt als den Menschen.«
    ›Ich habe niemanden in Walla weinen gesehen‹, dachte Roger später. Er hörte auch niemanden klagen. Das Dorf wirkte wie von apathischen Wesen bewohnt, die über die Lichtung, zwischen den etwa dreißig Hütten aus Holzpflöcken und spitzen Palmblattdächern ziellos umherirrten, als wüssten sie nicht mehr, wer noch wo sie waren, als hätte ein böser Fluch sie alle in Phantome verwandelt. Doch Phantome, deren Rücken und Hinterteile mit Wunden übersät waren, manche noch offen und blutig.
    Mit Hilfe von Pater Hutot, der fließend die Sprache des Stammes sprach, ging Roger seiner Arbeit nach. Er befragte jeden einzelnen Bewohner, hörte immer wieder, was ihm so oft bereits zu Ohren gekommen war und noch kommen sollte. Auch hier in Walla erstaunte es ihn, dass keines dieser armen Geschöpfe sich über das Offensichtliche beklagte: Mit welchem Recht waren diese Fremden gekommen, um sie zu beherrschen, auszubeuten und zu misshandeln? Sie hatten nur die Quoten vor Augen. Sie seien zu hoch, es übersteige das Menschenmögliche, so viel Kautschuk und so viele Lebensmittel zusammenzutragen, so viele Arbeitskräfte abzustellen. Sie baten nur, die Quoten ein wenig zu senken, damit sie sie erfüllen könnten und die Behörden zufrieden wären.
    Roger übernachtete in dem Dorf. Am nächsten Tag verabschiedete er sich von Pater Hutot, seine Hefte voller Notizen und protokollierter Zeugenaussagen. Er hatte beschlossen, von der geplanten Route abzuweichen. Er kehrte zum Mantumba-See zurück, ging an Bord der Henry Reed und ließ Kurs auf Coquilhatville nehmen. Coquilhatville war eine große Ortschaft mit holprigen Erdstraßen, an denen zwischen Palmen und kleinen quadratischen Feldern verstreut Häuserlagen. Vom

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