Der Traum des Kelten
mutloser Unterton mit.
»Nichts wäre mir lieber, als dass dieses System verändert würde. Mir gefällt auch nicht, was hier geschieht. Was man uns zu tun zwingt, geht gegen meine Prinzipien.« Er berührte das Medaillon um seinen Hals. »Gegen meinen Glauben. Ich bin ein sehr katholischer Mensch. In Europa habe ich mich immer bemüht, in Übereinstimmung mit der Religion zu handeln. Hier im Kongo ist das unmöglich, Herr Konsul. Das ist die traurige Wahrheit. Deshalb bin ich froh, nach Belgien zurückzukehren. Und ich werde bestimmt nie wieder einen Fuß nach Afrika setzen, das versichere ich Ihnen.«
Hauptmann Junieux erhob sich und trat an eines der Fenster. Eine Weile blieb er schweigend dort stehen und beobachtete die Rekruten, die sich in schiefen Reihen gegenseitig anrempelten und denen es nie gelang, ihre Schritte aufeinander abzustimmen.
»Wenn das so ist, könnten Sie sich dafür einsetzen, den Verbrechen hier ein Ende zu bereiten«, murmelte Roger. »Wir Europäer sind schließlich nicht nach Afrika gekommen, um das hier anzurichten.«
»Ach nein?« Hauptmann Junieux drehte sich zu ihm um, und Roger bemerkte, dass der Offizier blass geworden war. »Wofür sind wir dann gekommen? Ach ja, stimmt, um Zivilisation, Christentum und freien Handel zu bringen. Und daran glauben Sie noch, Mr. Casement?«
»Nein«, entgegnete Roger. »Früher glaubte ich das, ja. Aus tiefster Seele. Viele Jahre lang habe ich in meinem jugendlichen Idealismus und meiner Naivität daran geglaubt. DassEuropäer nach Afrika kamen, um Menschenleben und Seelen zu retten, die Wilden zu zivilisieren. Inzwischen weiß ich, wie sehr ich mich geirrt habe.«
Hauptmann Junieux’ Ausdruck veränderte sich, und Roger kam es vor, als würde die Maske des Militärs für einen Moment von ihm abfallen und den Menschen dahinter erkennen lassen. In seinem Blick auf ihn lag etwas von der mitleidigen Sympathie, mit der man einen Narren betrachtet.
»Ich bemühe mich, für diese Jugendsünde zu sühnen, Hauptmann. Deshalb bin ich bis nach Coquilhatville gekommen. Deshalb bin ich dabei, so sorgfältig wie möglich die Missbräuche zu dokumentieren, die hier im Namen der vermeintlichen Zivilisation begangen werden.«
»Da wünsche ich Ihnen viel Erfolg, Herr Konsul«, sagte Hauptmann Junieux mit einem spöttischen Lächeln. »Ich befürchte nur, den werden Sie nicht haben, wenn Sie mir die Offenheit erlauben. Keine menschliche Macht kann dieses System ändern. Dafür ist es zu spät.«
»Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gern das Gefängnis und die Maison d’Otages besichtigen, wo man die Frauen aus Walla hingebracht hat«, wechselte Roger abrupt das Thema.
»Sie können besichtigen, was Sie wollen«, nickte der Offizier. »Fühlen Sie sich wie zu Hause. Lassen Sie mich nur eines wiederholen: Wir haben den Kongo-Freistaat nicht erfunden. Wir sorgen einzig dafür, dass er funktioniert. Wir sind selbst seine Opfer.«
Das Gefängnis war ein fensterloser Schuppen aus Holz und Backsteinen mit einem einzigen Eingang, der von zwei eingeborenen Soldaten mit Gewehren bewacht wurde. Ein Dutzend Männer, manche sehr alt, lagen darin halbnackt auf dem Boden, zwei waren an Eisenringe in der Wand gekettet. Es waren nicht die resignierten Mienen dieser ihn stumm beobachtenden Skelette, die ihn am meisten schockierten, während er den Raum abschritt, sondern der beißende Gestank nach Urin und Exkrementen.
»Wir haben versucht, ihnen beizubringen, ihre Bedürfnisse in diesen Eimern zu erledigen«, sagte der Hauptmann und deutete auf ein Behältnis. »Aber das sind sie nicht gewöhnt. Sie ziehen den Boden vor. Von mir aus. Der Geruch stört sie nicht. Vielleicht fällt er ihnen nicht mal auf.«
Die Maison d’Otages war kleiner, doch es bot sich ein dramatischer Anblick, denn der Schuppen war so überfüllt, dass Roger zwischen den aneinandergedrängten halbnackten Körpern kaum durchkam. Viele Frauen standen, weil der enge Raum ihnen weder Platz zum Liegen noch zum Sitzen ließ.
»Das ist eine Ausnahme«, sagte Hauptmann Junieux. »Sonst sind hier nie so viele. Heute Abend werden wir die Hälfte von ihnen in eines der Soldatenquartiere verlegen, damit sie schlafen können.«
Auch hier war der Gestank nach Urin und Exkrementen unerträglich. Manche Frauen waren sehr jung, beinahe noch Mädchen. Alle hatten den gleichen umnachteten Blick, den Roger im Laufe dieser Reise an so vielen Kongolesinnen bemerken sollte. Eine der Geiseln hielt ein
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