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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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gesehen, was es bedeutet, ein einfacher, armer Kongolese zu sein.«
    Roger nickte. Sicherlich wäre es eine barmherzige Tat, der Bitte der Trappisten nachzukommen und zu helfen. Dennoch zögerte er. Es war riskant, als Diplomat Justizflüchtigen zu helfen, so ungerecht die gegen sie vorgebrachten Anschuldigungen auch sein mochten, es konnte Großbritannien kompromittieren und seiner Aufgabe schaden, Informationen für das Foreign Office zu sammeln.
    »Kann ich sie sehen und mit ihnen sprechen?«
    Dom Jesualdo nickte. Pater Hutot entfernte sich und kehrte kurz darauf mit der kleinen Gruppe zurück. Es waren vier Männer und drei Jungen. Allen war die linke Hand entweder abgeschlagen oder zerschmettert worden. Auf Rücken und Brust trugen sie Spuren der Chicotte . Ihr Oberhaupt, Mansunda, trug einen Federbusch auf dem Kopf und eine Kette aus Raubtierzähnen; sein Gesicht zierten alte Narben der Initiationsriten seines Stammes. Pater Hutot diente als Dolmetscher. Das Dorf Bonginda hatte zweimal in Folge nicht genügend Kautschuk an die Gesandten der Konzessionsgesellschaft Compañía Lulonga abgeliefert, da der Latex in den Bäumen der Gegend versiegt war. Daraufhin begannen die von der Force Publique in das Dorf abkommandierten afrikanischen Wachposten, die Bewohner auszupeitschen und ihnen Hände und Füße abzuhacken. Im Dorf kam es zu einem Aufstand, ein Soldat wurde getötet, die anderen suchten das Weite. Wenige Tage später fiel eine Abordnung der Force Publique in Bonginda ein, zündete alle Hütten an, ließ etliche Männer und Frauen darin verbrennen und ermordete andere, ehe sie die restlichen Bewohner ins Gefängnis und in die Maison d’Otages von Coquilhatville brachte. Mansunda ging davon aus, dass sie allein mit Hilfe der Trappistenmönche entkommen konnten. Sollte die Force Publique ihrer habhaft werden, stünde auch ihnen der Tod bevor, denn im Kongo würden Eingeborenenaufstände stets mit der Auslöschung der gesamten Gemeinschaft bestraft.
    »Gut, mon père «, sagte Casement. »Ich werde sie auf der Henry Reed von hier wegbringen. Aber nur bis zum nächsten französischen Ufer.«
    »Gott wird es Ihnen danken, Herr Konsul«, sagte Pater Hutot.
    »Da bin ich mir nicht so sicher, mon père «, entgegnete der Konsul. »In diesem Fall handeln wir beide gegen das Gesetz.«
    »Das Gesetz der Menschen«, sagte der Trappistenmönch. »Und wir überschreiten es, um Gottes Gesetz treu sein zu können.«
    Roger nahm mit den Mönchen ein karges, fleischloses Mahl ein und unterhielt sich lange mit ihnen. Dom Jesualdo sagte leicht scherzend, die Trappisten brächen ihm zu Ehren das Schweigegebot, das sonst im Orden herrsche. Allerdings wirkten die Mönche und Laienbrüder angesichts der Geschehnisse im Land so niedergeschlagen wie er selbst. »Wie konnte es so weit kommen?«, fragte er sich laut. Und er erzählte ihnen, mit welchem Enthusiasmus er neunzehn Jahre zuvor in Afrika eingetroffen war, wie überzeugt er gewesen war, der Kolonialismus würde den Afrikanern ein menschenwürdigeres Dasein bringen. Wie war es möglich, dass die Kolonisierung zu diesem entsetzlichen Raubzug geworden war, dass Menschen, die sich Christen nannten, unschuldige Wesen folterten, verstümmelten und töteten, selbst Kinder und Alte solch unvorstellbaren Grausamkeiten aussetzten? Waren die Europäer nicht eben gekommen, um dem Sklavenhandel ein Ende zu setzen und die Religion der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit zu verbreiten? Denn was hier vor sich ging, war ja wohl noch schlimmer als der Sklavenhandel, oder etwa nicht?
    Während er sich all dies von der Seele redete, sprachen die Trappisten kein Wort. Wollten sie, entgegen den Worten des Abts, ihr Schweigegebot doch nicht brechen? Nein, sie waren schlicht so verwirrt und betroffen wie er.
    »Die Wege des Herrn sind unergründlich für uns arme Sünder, Herr Konsul«, seufzte Dom Jesualdo. »Wichtig ist es, nicht der Verzweiflung anheimzufallen. Nicht den Glauben zu verlieren. Dass es hier Menschen wie Sie gibt, ermutigt uns, gibt uns neue Hoffnung. Möge Ihre Unternehmung erfolgreich sein. Wir werden zu Gott beten, dass er es Ihnen erlaubt, etwas für diese unglückliche Menschheit zu tun.«
    Im Morgengrauen des folgenden Tages gingen die sieben Flüchtlinge in einer von Coquilhatville etwas entfernten Flussbiegung an Bord der Henry Reed . Während der drei Tage, die sie auf dem Schiff verbrachten, war Roger nervös und angespannt. Er hatte der Besatzung eine vage Erklärung für

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