Der Traum des Kelten
war eine kleine Bank in den Besucherraum gestellt worden. Sie nahmen Platz. Ihre Knie berührten sich. Pater Carey war seit über zwanzig Jahren Kaplan in den Londoner Gefängnissen und hatte vielen zum Tode Verurteilten bis zum Schluss beigestanden. Der ständige Austausch mit Gefängnisinsassen hatte ihn nicht verhärtet. Er war aufmerksam und rücksichtsvoll, und Roger hatte von ihrer ersten Begegnung an Zuneigung zu ihm empfunden. Er hatte ihn niemals etwas Harsches sagen hören, stets bewies der Pater ein besonderes Feingefühl. Seine Gegenwart empfand Roger als wohltuend. Pater Carey war groß und hager, hatte sehr blasse Haut und einen kleinen grauen Spitzbart. Noch wenn er lachte, lag ein feuchter Schimmer in seinen Augen, als hätte er gerade geweint.
»Wie war Pater Crotty?«, fragte Carey. »Offenbar haben Sie sich gut mit ihm verstanden.«
»Ohne Pater Crotty wäre ich während der Monate im Lager von Limburg verrückt geworden«, sagte Roger. »Äußerlich hatte er keine Ähnlichkeit mit Ihnen, er war klein und robust und hatte ein rotes Gesicht, das nach dem ersten Glas Bier noch röter wurde. In gewisser Hinsicht gleichen Sie einander aber doch. In Ihrer Großzügigkeit, wenn ich so sagen darf.«
Pater Crotty war ein irischer Dominikanermönch, vom Vatikan in das Gefangenenlager entsandt, das die Deutschen in Limburg eingerichtet hatten. Die Freundschaft zu ihm war für Roger ein Rettungsanker gewesen, als er zwischen 1915 und 1916 versuchte, unter den Gefangenen Freiwillige für die Irische Brigade anzuwerben.
»Er war jemand, der sich nie entmutigen ließ«, sagte Roger. »Ich habe ihn begleitet, wenn er Kranke besuchte, Sakramentespendete, die Gefangenen den Rosenkranz beten ließ. Und er war ein Nationalist. Allerdings kein so leidenschaftlicher wie ich, Pater Carey.«
Der Pater lächelte.
»Denken Sie nicht, Pater Crotty hätte versucht, mich für den Katholizismus zu gewinnen«, fügte Roger hinzu. »Er war bei unseren Gesprächen sehr darauf bedacht, mir nicht das Gefühl zu vermitteln, er würde mich bekehren wollen. Das geschah ganz allein in mir, hier drinnen«, dabei berührte er seine Brust. »Ich war nie sehr gläubig, das sagte ich Ihnen schon. Seit dem Tod meiner Mutter war die Religion für mich etwas Nebensächliches. Erst 1903, auf jener dreimonatigen Reise den Kongo hinauf, von der ich Ihnen erzählte, habe ich wieder zu beten angefangen. Als ich meinte, angesichts so großen Leids den Verstand zu verlieren. Auf diese Weise habe ich entdeckt, dass der Mensch nicht ohne Glauben leben kann.«
Er merkte, dass ihm die Stimme versagte, und verstummte.
»Und durch ihn haben Sie Thomas von Kempen entdeckt?«
»Er hat ihm große Verehrung entgegengebracht«, nickte Roger. »Er schenkte mir sein Exemplar der Nachfolge Christi . Doch damals konnte ich es nicht lesen. Ich hatte während dieser sorgenvollen Tage keinen Sinn dafür. Ich ließ das Buch in einem Koffer voller Kleidung in Deutschland zurück. In dem U-Boot durften wir kein Gepäck mitführen. Zum Glück haben Sie ein anderes Exemplar für mich aufgetrieben. Ich befürchte nur, mir wird nicht die Zeit bleiben, es zu Ende zu lesen.«
»Die englische Regierung hat noch nichts entschieden«, erinnerte ihn der Geistliche. »Sie dürfen die Hoffnung nicht verlieren. Dort draußen gibt es viele Menschen, denen Sie viel bedeuten und die große Anstrengungen unternehmen, damit das Gnadengesuch erhört wird.«
»Ich weiß, Pater Carey. Trotzdem bitte ich Sie, mich vorzubereiten. Ich möchte in aller Form in die Kirche aufgenommen werden. Die Sakramente empfangen. Beichten. Das Abendmahl erhalten.«
»Dafür bin ich hier, Roger. Und ich versichere Ihnen, dass Sie für alles bereit sind.«
»Eine Sache bedrückt mich sehr«, sagte Roger und senkte die Stimme. »Wird es nicht so aussehen, als hätte die Angst meine Bekehrung zu Jesus Christus bewirkt? Denn die Wahrheit ist, Pater Carey, ich habe Angst. Große Angst.«
»Er ist weiser, als Sie und ich es sind«, beruhigte ihn der Geistliche. »Ich glaube nicht, dass Christus etwas Schlechtes daran findet, wenn ein Mensch Angst hat. Er hatte sie auch auf dem Kreuzweg, da bin ich mir sicher. Das ist ganz und gar menschlich, nicht? Wir alle haben Angst, das liegt in unserer Natur. Und wer nur ein wenig sensibel ist, fühlt sich bisweilen hilflos und erschrocken. Ihre Annäherung an die Kirche geschieht reinen Herzens, Roger, das weiß ich.«
»Ich hatte bis jetzt niemals Angst vor dem
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