Der Traum des Kelten
großherzig und mutig. Sie haben vielen Menschen die Augen geöffnet, dazu beigetragen, tragischen Missständen abzuhelfen.«
›Alles Gute, was ich getan haben mag, wird durch diese Diffamierungskampagne zerstört‹, dachte Roger. Doch das war ein Gedanke, den er jedes Mal gleich wieder verdrängte. Er mochte an den Besuchen Pater Careys, dass er selbst entscheiden konnte, worüber er sich mit dem Kaplan unterhielt. Der Geistliche war überaus diskret und vermied taktvoll jedes Gesprächsthema, das Roger verstimmen könnte. Manchmal saßen sie lange schweigend nebeneinander. Doch auch so hatte die Gegenwart des Paters eine besänftigende Wirkung auf ihn. Noch Stunden nach ihren Gesprächen fühlte Roger sich ruhig und gefasst.
»Wenn das Gesuch abgewiesen wird, bleiben Sie dann bis zum Schluss bei mir?«, fragte er, ohne den Pater anzusehen.
»Natürlich«, sagte Pater Carey. »Aber daran dürfen Sie jetzt nicht denken. Es ist noch nichts entschieden.«
»Ich weiß, Pater Carey. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben. Aber es tut mir gut zu wissen, dass Sie mich begleiten werden. Ihr Beistand wird mir Mut geben. Ich werde kein klägliches Schauspiel abgeben, das verspreche ich.«
»Sollen wir gemeinsam beten?«
»Reden wir lieber noch etwas, wenn es Ihnen recht ist. Ich habe eine letzte Frage zu diesem Thema. Wenn ich hingerichtet werde, kann mein Leichnam dann nach Irland überführt und dort beerdigt werden?«
Er merkte, dass der Kaplan zögerte, und blickte ihn an. Pater Carey war noch blasser als sonst. Betreten schüttelte er den Kopf.
»Nein, Roger. Wenn das geschieht, dann werden Sie auf dem Gefängnisfriedhof beigesetzt.«
»Auf feindlichem Gebiet«, versuchte Roger zu scherzen. »In einem Land, das ich inzwischen so sehr hasse, wie ich es in jungen Jahren geliebt und bewundert habe.«
»Hass dient niemandem«, seufzte Pater Carey. »Die englische Politik mag verfehlt sein. Aber es gibt viele anständige, ehrbare Engländer.«
»Das weiß ich wohl, Pater. Ich sage es mir immer, wenn derHass auf dieses Land in mir aufsteigt. Doch ich komme nicht dagegen an. Vielleicht, weil ich früher blind an das Empire geglaubt habe, daran, dass England die ganze Welt zivilisieren würde. Sie hätten sich amüsiert, wenn Sie mich damals gehört hätten.«
Der Geistliche nickte, und Roger lachte auf.
»Es heißt doch immer, dass die Konvertierten die Schlimmsten sind«, fügte er hinzu. »Meine Freunde haben mir das zumindest immer vorgeworfen. Zu leidenschaftlich zu sein.«
»Der unverbesserliche Ire aus der Fabel«, sagte Pater Carey lächelnd. »So nannte mich meine Mutter, wenn ich als kleiner Junge nicht brav war. ›Da haben wir wieder den unverbesserlichen Iren‹, sagte sie.«
»Wenn Sie möchten, können wir jetzt beten, Pater.«
Pater Carey nickte. Mit geschlossenen Augen faltete er die Hände und begann ein Vaterunser und dann mehrere AveMaria zu raunen. Roger schloss ebenfalls die Augen und betete stumm für sich. Zunächst gelang es ihm nicht, sich zu sammeln, wirre Bilder kreisten in seinem Kopf. Doch nach und nach konnte er sich auf die Gebete einlassen. Als der Sheriff an die Tür klopfte und verkündete, sie hätten noch fünf Minuten, war Roger ganz in Andacht versunken.
Jedes Mal, wenn er betete, musste er an seine Mutter denken, an ihre schlanke, weiß gekleidete Gestalt unter einem breiten Strohhut, dessen blaues Band im Wind flatterte, während sie querfeldein unter Bäumen ging. War es in Wales gewesen, in Antrim oder in Jersey? Er wusste es nicht mehr, doch die Landschaft war so schön wie das Lächeln, das Anne Jephsons Gesicht erstrahlen ließ. Wie stolz war Roger, diese sanfte, zarte Hand zu halten, wie sicher und froh er sich fühlte! So zu beten war Balsam für seine Seele, in seine Kindheit zurückversetzt zu werden, die durch seine Mutter schön und glücklich gewesen war.
Pater Carey fragte ihn, ob er irgendjemandem eine Nachricht übermitteln solle, ob er ihm bei seinem nächsten Besuch zwei Tage später etwas mitbringen könne.
»Sie zu sehen ist alles, was ich brauche, Pater. Sie wissen gar nicht, wie gut es mir tut, mit Ihnen zu sprechen und Ihnen zuzuhören.«
Sie schüttelten sich zum Abschied die Hand. Als er neben dem Sheriff den langen, feuchten Korridor zurückging, entfuhr es Roger:
»Es tut mir sehr leid wegen Ihres Sohnes. Ich habe keine Kinder, aber ich stelle mir vor, dass es keinen schlimmeren Schmerz im Leben gibt.«
Der Sheriff räusperte sich,
Weitere Kostenlose Bücher