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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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auf der Welt leisten wollte. Auch das würde in Vergessenheit geraten, wenn man ihn hinrichten würde.
    Ob es stimmte, dass Pater Carey sich geweigert hatte, die skandalösen Dinge zu lesen, die die Zeitungen über ihn schrieben? Der Kaplan war ein guter, mitfühlender Mensch. Sollte Roger sterben müssen, würde Careys Anwesenheit ihm helfen, seine Würde bis zum letzten Augenblick zu bewahren.
    Mutlosigkeit überkam ihn und machte ihn so hilflos wie die von der Tsetsefliege gestochenen Kongolesen, denen die Schlafkrankheit die Arme, Beine, Lippen und sogar die Augenlider lähmte. Ob sie auch ihre Gedanken lähmte? Ihn machten diese Anfälle von Pessimismus leider noch scharfsichtiger, sie verwandelten sein Gehirn in einen prasselnden Scheiterhaufen. Waren die Tagebuchseiten, die der Sprecher der Admiralität der Presse übergeben hatte und die den rothaarigen Assistenten von Gavan Duffy so empörten, echt oder gefälscht? Er sagte sich, dass die Dummheit doch ein Wesenszug des Menschen war, was natürlich auch für ihn selbst galt. Er war penibel genau, hatte als Diplomat den Ruf, keinen Schritt zu unternehmen, ohne die möglichen Konsequenzenzu bedenken. Und da saß er nun, unter einem baumelnden Strick, den er im Laufe seines Leben selbst geknüpft hatte, als hätte er seinen Feinden unbedingt eine Handhabe geben wollen, ihn zu verunglimpfen.
    Erschrocken merkte er, dass er lauthals lachte.

Der Amazonas

VIII
    Als Roger am letzten Augusttag 1910 mit den übrigen Mitgliedern der Kommission nach einer strapaziösen, über sechswöchigen Reise von England nach Iquitos im Herzen des peruanischen Amazonasgebietes ankam, hatten sich seine alte Augenentzündung, seine Arthritisanfälle, sein gesamter Gesundheitszustand verschlechtert. Doch seinem stoischen Charakter treu – Herbert Ward nannte ihn manchmal auch »Seneca« –, ließ er sich nichts anmerken, sondern ermunterte vielmehr seine Reisegefährten und half ihnen, die vielgestaltigen Widrigkeiten zu überstehen. Leutnant R.H. Bertre musste wegen Dysenterie in Madeira das Schiff verlassen und nach England zurückkehren. Dem Botaniker Walter Folk, einem Kautschukexperten, machten Hitze und Neuralgien zu schaffen. Ein weiterer Teilnehmer, Seymour Bell, hatte große Furcht vor einer möglichen Dehydratation und trug stets eine Wasserflasche bei sich, aus der er mit kleinen Schlucken trank. Am widerstandsfähigsten zeigte sich Louis Barnes, der in Mosambik gelebt hatte und ein Kenner der afrikanischen Landwirtschaft war. Henry Fielgald war ein Jahr zuvor bereits von Julio C. Aranas Gesellschaft ins Amazonasgebiet entsandt worden und gab Ratschläge, wie man sich vor den Moskitos und den »üblen Versuchungen« in Iquitos schützen könne.
    An Versuchungen fehlte es in der Tat nicht. Man konnte sich kaum vorstellen, dass es in einer so kleinen, unansehnlichen Stadt, kaum mehr als einem morastigen Weiler mit einfachen Hütten aus Holz, Lehm und Palmwedeldächern, ein paar solideren Gebäuden mit Wellblechdächern und einigen wenigen prachtvollen Villen mit Fassaden aus portugiesischer Fayence, eine solche Anzahl von Kneipen, Tavernen, Bordellen und Spielsalons gab sowie Prostituierte jeder Rasse undCouleur, die vom frühen Morgen an ungeniert auf den Gehsteigen promenierten. Die Landschaft ringsum war grandios. Iquitos lag am Ufer des Nanay, eines Nebenarms des Amazonas, und war umgeben von üppiger Vegetation. Mächtige Bäume mischten ihr Rauschen in das des Flusses, der je nach Sonnenstand unterschiedliche Schattierungen annahm. Doch nur wenige Straßen waren überhaupt asphaltiert und mit Gehsteigen versehen, zumeist waren sie von Rinnsalen durchzogen, die Abwässer und Unrat mitschwemmten und einen ekelerregenden Gestank verströmten. Tag und Nacht dröhnte Musik aus den Spelunken, Bordellen und Amüsierlokalen.
    Mr. Stirs, der britische Konsul, der sie an der Anlegestelle in Empfang nahm, erklärte Roger, er würde in seinem Haus Quartier beziehen. Die Gesellschaft habe als Unterkunft für die übrigen Kommissionsmitglieder ein Haus vorbereitet. Am selben Abend würde der Präfekt von Iquitos ein Abendessen zu Rogers Ehren geben.
    Es war kurz nach Mittag, doch statt an der Mahlzeit teilzunehmen, zog Roger es vor, sich zurückzuziehen und auszuruhen. Sein Zimmer war schlicht eingerichtet, mit geometrisch gemusterten indianischen Stoffen an den Wänden, und von der kleinen Terrasse aus sah man ein Stück Fluss. Der Straßenlärm drang nur gedämpft herauf. Ohne

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