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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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großen unbewachsenen Areal, an dem gerade, wie der auf eine seltsame Eisenkonstruktion zeigende Konsul ihn informierte, ein Eiffel-Haus gebaut wurde. (»Ja, derselbe Eiffel wie von dem Turm in Paris.«) Ein wohlhabender Kautschukunternehmer hatte es in Europa gekauft, zerlegen und nach Iquitos transportieren lassen, wo es nun wieder errichtet wurde, um den exklusivsten Club der Stadt zu beherbergen.
    Die Präfektur nahm fast einen halben Straßenblock ein. Ein klotziges, ebenerdiges Gebäude mit weitläufigen Räumen und vergitterten Fenstern, das aus zwei Flügeln bestand. In dem einen befanden sich die Amtsräume, im zweiten lebte der Präfekt. Rey Lama war ein hochgewachsener Mann mit grauem Haar und dichtem, an den Spitzen gezwirbeltem Schnurrbart. Er trug Reithosen und Stiefel, ein Hemd mit Stehkragen und eine merkwürdige kurze Weste mit besticktem Besatz. In seinem dürftigen Englisch begrüßte er Roger überschwänglich und mit schwülstigen Floskeln. Die übrigen Mitglieder der Kommission hatten sich bereits eingefunden und schwitzten in ihren Abendanzügen. Der Präfekt stellte Roger die anderen Gästen vor: einige Richter des Hohen Gerichtshofs, der Garnisonschef Leutnant Arnáez, der Superior der Augustiner Pater Urrutia, der Geschäftsführer der Peruvian Amazon Company , der Vorsteher der Zollbehörde, der Herausgeber der Zeitung El Oriental und drei Kaufleute. Keine einzige Frau. Man hörte Korken knallen, und es wurden Gläser mit Champagner gereicht, der nicht mehr ganz kühl war, jedoch von guter Qualität, zweifellos französisch.
    Die Tafel war in einem großen, mit Petroleumlampen beleuchteten Innenhof gedeckt. Zahllose eingeborene Dienstboten, barfüßig und mit Schürzen, servierten Häppchen und trugen Schüsseln mit verschiedenen Gerichten herbei. Es war eine relativ milde Nacht, am Himmel funkelten Sterne. Roger war überrascht, wie gut er das melodische Spanisch der Peruaner verstand, in dem er einige brasilianische Ausdrückewiedererkannte. Das erleichterte ihn. Sie hatten zwar einen Dolmetscher, doch so würde er auf der Reise vieles selber verstehen können, was die Untersuchung vereinfachen würde. Am Tisch, soeben war eine ölige Schildkrötensuppe serviert worden, die er kaum herunterbrachte, waren mehrere Unterhaltungen gleichzeitig in Gang, auf Englisch, Spanisch und Portugiesisch, hin und wieder unterbrochen von den Dolmetschern und den dadurch entstehenden Gesprächspausen. Plötzlich klatschte der Präfekt mit etwas weinseligem Blick in die Hände, und alle verstummten. Er brachte einen Toast auf die Neuankömmlinge aus, wünschte ihnen einen guten Aufenthalt und viel Glück für ihre Mission, sie sollten sich an der amazonischen Gastfreundschaft erfreuen. »Wie man sie in der ganzen Region Loreto, vor allem aber in Iquitos pflegt«, fügte er hinzu.
    Kaum hatte er wieder Platz genommen, wandte er sich so laut an Roger, dass zwischen den übrigen zwanzig Tischgästen keine andere Unterhaltung aufkommen konnte.
    »Gestatten Sie mir eine Frage, verehrter Señor Konsul? Was genau ist der Zweck Ihrer Reise und dieser Kommission? Was wollen Sie hier herausfinden? Nicht, dass ich Ihnen zu nahe treten möchte. Mein Wunsch und der aller hiesigen Amtsträger ist es nur, Ihnen zu helfen. Doch dafür müssen wir wissen, wofür die britische Krone Sie hierhergeschickt hat. Eine große Ehre für das Amazonasgebiet, der wir uns würdig erweisen möchten.«
    Roger hatte beinahe alles verstanden, was Rey Lama gesagt hatte, wartete aber dennoch geduldig, bis der Dolmetscher seine Worte ins Englische übersetzt hatte.
    »Wie Sie zweifellos wissen, gibt es in England, in ganz Europa Proteste wegen angeblicher Grausamkeiten gegen die Indios«, erklärte er ruhig. »Folter, Mord, sehr ernste Anschuldigungen. Das wichtigste Kautschukunternehmen der Region, die Peruvian Amazon Company von Herrn Julio C. Arana, ist, wie Sie sicherlich wissen, eine an der Börse notierte englische Gesellschaft. Weder die britische Regierung noch dieöffentliche Meinung würden akzeptieren, dass ein englisches Unternehmen solcherart gegen die menschlichen und göttlichen Gesetze verstößt. Der Grund unserer Reise ist es, den Wahrheitsgehalt dieser Anschuldigungen zu überprüfen. Die Kommission wurde von Julio C. Aranas Unternehmen selbst entsandt. Ich von der Regierung Seiner Majestät.«
    Es herrschte eisiges Schweigen. Selbst der von der Straße in den Innenhof dringende Krawall wirkte nicht mehr ganz so laut. Man

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