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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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beschließen, allein oder in Begleitung eines Freundes. Er mochte es, stundenlang umherzuwandern, doch auf den unasphaltierten Straßen von Iquitos trat er immer wieder in Schlaglöcher und Pfützen mit quakenden Fröschen. Es herrschte mächtiger Radau. Kneipen, Bordelle, Amüsierlokaleund Wettschuppen waren voller trinkender, essender, tanzender oder zankender Menschen. Und überall an den Türen Trauben halbnackter Kinder, die hineinlugten. Am Horizont verblasste das Abendrot, und Roger legte das letzte Stück des Weges im Dunkeln zurück. Unversehens war er wieder an dem viereckigen Erdstück angelangt, das den hochtrabenden Namen Plaza de Armas trug. Er umrundete es einmal, da wurde er von einem auf einer Bank sitzenden Umriss auf Portugiesisch begrüßt. » Boa noite , Señor Casement.« Es war Pater Ricardo Urrutia, der Superior der Augustiner, den er beim Abendessen des Präfekten kennengelernt hatte. Er setzte sich neben ihn auf die Holzbank.
    »Wenn es nicht regnet, ist es angenehm, ein wenig frische Luft zu schöpfen und die Sterne zu betrachten«, sagte der Augustiner auf Portugiesisch. »Man muss sich nur die Ohren zuhalten, um diesen höllischen Krawall nicht zu hören. Man hat Ihnen gewiss schon von dem Haus erzählt, das ein närrischer Kautschukunternehmer in Europa gekauft hat und dort an der Ecke wieder aufstellen lässt. Offenbar wurde es für die Pariser Weltausstellung 1889 gebaut. Es heißt, es solle einen Club beherbergen. Können Sie sich vorstellen, wie glühend heiß es hier in einem Haus aus Metall wird? Wobei es im Moment eher eine Fledermaushöhle ist. Zu Dutzenden hängen sie an den Streben.«
    Roger sagte, er könne ruhig Spanisch mit ihm sprechen, er verstehe ihn. Doch Pater Urrutia hatte zehn Jahre im brasilianischen Ceará verbracht und zog das Portugiesische vor. Im peruanischen Amazonasgebiet war er erst seit einem knappen Jahr.
    »Ich weiß, Sie selbst waren noch nicht in den Kautschukstationen von Señor Arana. Aber zweifellos wissen Sie über einiges Bescheid, was dort vorgeht. Darf ich Sie offen heraus fragen? Stimmen die Anschuldigungen von Saldaña Roca und Hardenburg?«
    Der Priester seufzte.
    »Das mag wohl leider so sein, Señor Casement«, sagte er.»Wir sind hier weit von Putumayo entfernt. Wenigstens tausendzweihundert Kilometer. Wenn in einer Stadt wie dieser hier, mit Behörden, einem Präfekten, Richtern, Militär und Polizei, die uns bekannten Dinge geschehen können, wie mag es dann erst dort zugehen, wo es all das nicht gibt?«
    Er seufzte wieder, diesmal noch sorgenvoller.
    »Das große Problem hier ist der Handel mit den Eingeborenenmädchen«, sagte er mit bedrückter Stimme. »Sosehr wir uns auch bemühen, eine Lösung dafür zu finden, es gelingt uns nicht.«
    Wieder der Kongo. Der allgegenwärtige Kongo.
    »Sie haben sicherlich von den berüchtigten Treibjagden gehört«, fuhr der Augustiner fort, »bei denen Eingeborenendörfer überfallen und Kautschuksammler gefangen werden. Doch dabei werden nicht nur die Männer entführt. Auch Jungen und Mädchen. Um sie hier zu verkaufen. Manchmal werden sie auch bis nach Manaus gebracht, wo sie offenbar bessere Preise erzielen. In Iquitos bekommt man für zwanzig, höchstens dreißig Soles ein Dienstmädchen. Alle Familien hier haben eine, zwei, fünf Dienstmädchen. Sklavinnen im Grunde. Sie arbeiten Tag und Nacht, sind wie Tiere untergebracht, werden wegen jeder Kleinigkeit geschlagen und dienen außerdem natürlich der sexuellen Erziehung der Söhne.«
    Er seufzte wieder, sein Atem ging schwer.
    »Kann man bei den Behörden nichts erreichen?«
    »Im Prinzip könnte man das«, sagte Pater Urrutia. »Die Sklaverei ist in Peru seit über fünfzig Jahren offiziell abgeschafft. Man könnte sich an Polizei und Richter wenden. Aber die haben auch alle ihre Dienstmädchen. Und was sollten die Behörden mit den befreiten Mädchen tun? Entweder sie behalten sie oder verkaufen sie. Und oft an Bordelle, alles Weitere können Sie sich vorstellen.«
    »Haben sie keine Möglichkeit, in ihre Gemeinschaften zurückzukehren?«
    »In dieser Gegend gibt es fast keine Eingeborenengemeinschaften mehr. Die Väter wurden in die Kautschukstationenverschleppt. Die Mädchen können nirgends hin. Wozu diese armen Geschöpfe also befreien? Unter den gegebenen Umständen ist es vielleicht noch das geringste Übel für sie, hier zu bleiben und zu arbeiten. Manche Familien schließen sie sogar ins Herz. Kommt Ihnen das alles bestialisch

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