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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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vor?«
    »Ja, bestialisch«, nickte Roger.
    »Mir auch, uns allen hier«, sagte Pater Urrutia. »In der Mission zerbrechen wir uns schon lange den Kopf darüber. Was wäre eine gute Lösung? Wir wissen es einfach nicht. Wir haben nach Rom geschrieben und vorgeschlagen, eine Nonnenschule für diese Mädchen einzurichten. Dann erhielten sie wenigstens ansatzweise eine Art schulischer Bildung. Aber ob die Familien sie auch in die Schule gehen lassen würden? Die wenigsten wahrscheinlich. Die Indiomädchen sind für sie keine vollwertigen Menschen.«
    Er seufzte wieder. Auch Roger fühlte sich jetzt deprimiert, er verspürte das Bedürfnis, ins Haus des Konsuls zurückzukehren. Er stand auf.
    »Aber Sie können etwas tun, Señor Casement«, sagte Pater Urrutia, als er ihm zum Abschied die Hand schüttelte. »Das alles ist eine Art Wunder. Ich meine die Veröffentlichungen, der Skandal in Europa. Die Entsendung Ihrer Kommission. Wenn jemand diesen armen Menschen helfen kann, dann Sie. Ich werde dafür beten, dass Sie alle heil und gesund aus Putumayo zurückkehren.«
    Roger ging langsam durch die Straßen, ohne sich um die lärmenden Spelunken und Bordelle zu kümmern. Er dachte an die Kinder, ihren Gemeinschaften entrissen, gewaltsam von ihren Familien getrennt, wie sie gefesselt unter Deck eines Bootes nach Iquitos gebracht und dort für zwanzig oder dreißig Soles verkauft wurden, wie sie im Dienste irgendwelcher Familien von morgens bis abends putzen, waschen, kochen mussten und dabei beschimpft, geschlagen und womöglich vom Hausherrn und dessen Söhnen missbraucht wurden. Die alte Geschichte. Die immer gleiche Geschichte.

IX
    Als sich die Zellentür öffnete und Roger auf der Schwelle die breite Gestalt des Sheriffs erblickte, meinte er kurz, er habe Besuch, Gee oder Alice vielleicht. Aber der Kerkermeister sah ihn nur wortlos und mit einem merkwürdigen Ausdruck an. ›Sie haben das Gesuch abgelehnt‹, dachte Roger. Er blieb liegen, so gewiss war er, dass seine zitternden Beine unter ihm nachgeben würden, wenn er aufzustehen versuchte.
    »Wollen Sie sich waschen?«, fragte der Sheriff unterkühlt.
    ›Mein letzter Wille?‹, dachte er. ›Erst das Bad, dann der Henker.‹
    »Es verstößt gegen die Vorschriften«, sagte der Sheriff, und jetzt wirkte er bewegt. »Aber heute ist der erste Todestag meines Sohnes, der in Frankreich gefallen ist. Ich will im Gedenken an ihn etwas Barmherziges tun.«
    »Ich danke Ihnen«, sagte Roger, ein wenig verwundert über die plötzliche Freundlichkeit des Sheriffs, und stand auf.
    Langsam schlug sein Herz wieder ruhiger. Er trat in den Korridor und folgte dem Sheriff in den Waschsaal, einen düsteren Raum mit einer Reihe brüchiger Toilettenschüsseln an einer Wand und einer Reihe von Duschen mit verrosteten Wasserrohren über unpolierten Zementböden an der anderen Seite. Der Sheriff blieb am Eingang stehen, während Roger sich auszog, die blaue Uniform und die Häftlingsmütze an einem Wandnagel aufhängte und sich unter eine der Duschen stellte. Das Wasser war kalt, aber er empfand Dankbarkeit. Er schloss die Augen und ließ das Wasser eine Weile über seinen Körper laufen, dabei rieb er sich fest die Arme und Beine. Er war beinahe überschwänglich froh. Dieses Wasser reinigte ihn, es spülte nicht nur den Schmutz fort, sondern auch seine Sorgen und Ängste, seine Selbstvorwürfe. Er griff ein StückSeife aus einer Blechschale an der Wand, seifte sich ausgiebig ein und spülte sich langsam ab, bis der Sheriff ihn klatschend aufforderte, zum Ende zu kommen. Roger trocknete sich mit seiner Kleidung ab und zog sie wieder an. In Ermangelung eines Kamms strich er sich mit den Händen die Haare glatt.
    »Sie wissen gar nicht, wie dankbar ich Ihnen bin«, sagte er auf dem Rückweg in die Zelle. »Das hat mich gerade zu neuem Leben erweckt.«
    Der Wärter antwortete mit einem unverständlichen Brummen.
    Als Roger wieder auf seiner Pritsche lag, versuchte er, weiter in Thomas von Kempens Nachfolge Christi zu lesen, doch ihm fehlte wieder die nötige Konzentration, und er legte das Buch auf den Boden.
    Er dachte an Hauptmann Robert Monteith, seinen Adjutanten und Freund in den letzten sechs Monaten in Deutschland. Ein bemerkenswerter Mensch! Loyal, mutig und effizient. Er war sein Reise- und Kabinengefährte in dem deutschen U-Boot U 19 gewesen, das sie gemeinsam mit Feldwebel Daniel Julian Bailey, alias Julian Beverly, bis an die irische Küste bei Tralee gebracht hatte. Bei dem

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