Der Traum des Satyrs
genug«, kam Dominics Antwort.
»Was soll das heißen?«, dröhnte Lyon.
»Er verließ uns, kurz nachdem das Rufritual begonnen hatte. Ich habe bei der Geburt geholfen und danach am Bindungsritual teilgenommen. Allein, mit Emma.«
»Es muss schwierig gewesen sein, all die Zeit von ihr getrennt zu sein.« Raine klang beeindruckt. »Das Bindungsritual übt eine starke Anziehungskraft aus.«
Wütend wirbelte Emma zu Dominic herum. »Warum bist du hergekommen? Zu welchem Zweck hast du Carlos Andenken beschmutzt?«
»Ich habe ihn gebeten, zu kommen«, klärte Nicholas sie auf.
Daraufhin begannen alle gleichzeitig zu sprechen, und Emma musste sich anstrengen, um sich Gehör zu verschaffen.
»Aber warum?«, bohrte sie nach.
»Er hatte schon mit der Sendung von Carlos Überresten um Zutritt durch das Tor gebeten, doch damals wies ich ihn ab. Dein Ehemann hat jedoch am Tag vor Vollmond ein Testament verfasst und darin die Sorge um dich und sein Kind auf einen männlichen Abkömmling der königlichen Linie in der Anderwelt übertragen, für den Fall, dass ihm etwas zustieße. Der Name des Mannes lautete Dominic Satyr.«
Als sein Nachname genannt wurde, erfasste eine Welle der Aufregung die Anwesenden.
»Es hat etwas gedauert, die nötigen Nachforschungen anzustellen und zu ermitteln, dass der Mann, den er meinte, Dominic Janus Satyr ist.«
»Das seid Ihr?«, fragte Raine.
Dominic nickte würdevoll.
»Unter diesen Umständen muss ich die Heirat billigen, wenn Dominic sie wünscht«, fuhr Nicholas fort.
»Das tue ich«, beharrte Dominic.
»Nein!«, rief Emma. »Ich entbinde dich von jeglicher Verpflichtung, die Carlo dir auferlegt hat.«
»Ihr könnt sie nicht zwingen«, mischte Jane sich nun ein und funkelte Dominic böse an. Dann sah sie ihren Mann an. »Oder?«
»Ich habe das Recht eingefordert, sie zu heiraten«, erinnerte Dominic sie.
»Das hier ist nicht die Anderwelt«, betonte Jane. »Hier werden die Dinge anders gehandhabt.«
»Jane …«, setzte Nicholas an.
In einem seltenen Wutausbruch explodierte Emma und fiel ihm ins Wort. »Ich rede mit ihm!«
Die drei Brüder Satyr verstummten – überrascht, Emmas sonst so ruhige Natur so erschüttert zu sehen.
Dominic hingegen nickte nur, als hätte er ihre Worte erwartet. »Dann komm!«
Emma sah auf die behandschuhte Hand, die er ihr hinstreckte, als handelte es sich um eine Viper. Sein Gesicht nahm einen seltsam enttäuschten Ausdruck an. Er ballte die Hand und zog sie zurück. Stattdessen nickte er kurz zur Tür, um ihr zu bedeuten, dass sie vorangehen sollte.
Das Schweigen der übrigen Familie um sie herum stützte Dominics Aufforderung.
»Nehmt die Bibliothek«, schlug Nicholas vor und billigte damit offiziell das Vorhaben.
Einen anderen Weg sah Emma nicht, also rauschte sie aus dem Zimmer und überließ es Dominic, ihr den Flur entlang zu folgen. Die Bibliothek war eine gute Wahl. Sie lag neben dem Salon, so dass zwar die wachsamen Augen der Familie außen vor blieben, aber alle sich noch in Hörweite befanden.
Hinter ihnen erklang Lyons an Dominic gerichtete Warnung: »Ihr habt exakt fünfzehn Minuten für das Ritual. Dann kommen wir.«
17
D ominic schloss die Türen der Bibliothek und lehnte sich dagegen, während er Emma betrachtete, als wäre sie ein besonders wertvolles Ausstellungsstück unter all den unbezahlbaren Objekten in Nicholas’ umfangreicher Sammlung.
»Sollen wir beginnen?«, fragte er.
»Du wirst enttäuscht sein«, erklärte sie. Unsicher stand sie inmitten eines Raumes, der voll war mit Büchern, Pergamenten, Urnen und anderen Antiquitäten, die zum Erbe der Familie Satyr gehörten. »In meinen Adern fließt kein Anderweltblut. Deine Rituale werden bei mir nicht wirken.«
Ein optimistisches Lächeln umspielte seine so schönen, sündhaften Lippen. »Du hast mit mir geschlafen. Vielleicht habe ich dich verdorben.«
»Warum bist du wirklich hier?«, entgegnete sie schnippisch.
Seine Augen verengten sich, und sein Blick wurde kühl. Er stieß sich von der Tür ab und kam auf sie zu, während sie durch einen engen Gang zwischen zwei massiven Bücherschränken zurückwich, bis sie am Ende mit dem Rücken gegen die Wand gepresst dastand. Er drückte seine Handflächen links und rechts von ihrem Kopf an die verputzte Wand und beugte sich so weit vor, bis er nur noch einen Atemhauch von ihr entfernt war.
»Du weißt, was ich will.«
»Nein.« Fest richtete sie ihren Blick auf die drei glänzenden mittelalterlichen
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