Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
Vom Netzwerk:
nicht nach einem wimmernden Mädchen.
    Réka machte einen Schritt auf ihn zu. » Warum muss es Hanna sein?«, fragte sie mutig. » Warum ausgerechnet Hanna?«
    » Sie ist schön«, sagte Kunun leise. » Sie hat alles, was ich von der Frau an meiner Seite erwarte.«
    Das tat weh, gerade weil es stimmte. Hanna machte eine extrem gute Figur als Kununs Prinzessin, als seine Schattengeliebte. Sie war ein Blickfang auf jedem Fest.
    Unverhofft sprang er auf und packte Réka am Arm.
    » Wohin gehen wir?«
    » Sie ist auf dem Fest. Sie tanzt. Wenn sie Mattim liebt, wie du sagst, müsste man das nicht erkennen können? Wenn er sie doch ach so glücklich macht?«
    Er schleifte Réka durch die Gänge. Die Musik dröhnte ihnen entgegen, und kurz darauf erreichten sie die Treppe, die hinauf zur Empore führte. Von hier oben überblickten sie die Tänzer. » Hast du sie schon entdeckt?«
    » Da«, flüsterte Réka.
    Hanna tanzte mit Mattim und wirkte dabei äußerst gelangweilt. Ihre Miene hellte sich erst auf, als ein anderer Mann sie zum Tanz aufforderte. Ihr Blick wanderte zur Galerie, und sie lächelte, als sie Kunun dort stehen sah.
    » Für mich wirkt es so, als hätte sie mich vermisst, meinst du nicht? Dabei hatte sie meine ausdrückliche Erlaubnis, mit Mattim zu tanzen. Ich habe sie quasi darum gebeten.«
    Das lief definitiv nicht so, wie es sollte.
    » Hast du die beiden jemals zusammen gesehen?«
    » Nein«, musste sie zugeben.
    » Wie funktioniert das mit eurer Verbundenheit? Weißt du, was Hanna denkt? Bist du dabei, wenn sie spricht, wenn sie träumt, wenn sie Entscheidungen trifft?«
    » Manchmal. Selten.« Réka senkte den Kopf.
    » Was macht dich dann so sicher, dass nicht ich derjenige bin, der sie glücklich macht? Und jetzt geh. Raus aus meiner Burg.«
    Réka schlich zur Tür und schlüpfte hinaus auf den Gang. Das Unglück wollte über sie hereinbrechen, eine solch tiefe, nachtschwarze Verzweiflung, dass ihr Herz stehenbleiben wollte, wenn es nicht sowieso schon tot und kalt gewesen wäre. Sie stolperte davon, die Augen blind vor Tränen, und kam sich vor wie eine müde, zerrupfte Krähe, die über einer Wolke aus Licht schwebte und nicht abstürzen konnte.

22
    BUDAPEST, UNGARN
    » Hey«, sagte Mattim. Lässig, die Hände in den Hosentaschen, lehnte er an der Wand des Treppenhauses, als gehörte er dorthin. Er schien alle Zeit der Welt zu haben, um herumzustehen und zu warten.
    Im ersten Moment durchflutete Hanna Glück, eine heiße Woge der Freude. Sie hatte ihn vermisst, jede Minute. Seit Jaschbiniad stand es ziemlich schlimm um sie. Trotzdem hörte sie sich sagen: » Das muss aufhören.«
    Wie unschuldig er dreinblicken konnte. » Was denn? Gibt es etwas, das aufhören kann?«
    Am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen. Weil er lebte und weil er da war– einen anderen Grund brauchte sie gar nicht. Ich bin die Jägerin, dachte sie, nicht die Beute. Wenn, dann werde ich ihn fangen und besitzen, nicht umgekehrt. Sie nahm sich vor, sich nicht verunsichern zu lassen, seinen forschenden Blick auszuhalten. Dabei waren seine Augen wie Hände. Jeder Blick eine Berührung, die alles in ihr in Flammen setzte, sein Mund ein zorniger Strich.
    » Ich möchte mit dir reden«, sagte er. » Ich wollte es schon auf dem Fest, aber da ich nicht wusste, wie du reagierst, habe ich es mir für den Moment aufgespart, wenn wir allein sind.«
    Seine Stimmungen waren ihr ein Rätsel, und sie fragte sich, warum das so war. Was er fühlte– oder was er zu fühlen vorgab–, hatte sie nicht zu interessieren. Sie musste sich nur abwenden und aufhören, womit auch immer. Es hätte viel leichter sein müssen, sich einfach umzudrehen und so zu tun, als hätte sie ihn nicht gesehen. Stattdessen machte ihr taubes, totes Herz jedes Mal einen Sprung, wenn sie auch nur an ihn dachte. Aber sie würde sich nicht in ihn verlieben. Sie würde nicht wieder anfangen, schwach zu sein, menschlich und freundlich. Nein, sie würde ganz gewiss nicht dahinschmelzen.
    » Komm mit«, sagte er rau und fasste sie am Arm. » Bitte.« Seine Hand war warm. Sie konnte fühlen, wie das Blut darin pulste. Wie bei jeder Begegnung empfand sie auch diesmal das Bedürfnis, die Lippen an seine Halsbeuge zu legen, dort, wo das Leben in ihm pochte. Es wäre himmlisch, ihn festzuhalten, seine Haare im Gesicht zu spüren und den Duft seiner Haut einzuatmen. Sein Blut zu schmecken, wie einen Fluss aus Licht und Finsternis, ineinandergeflochten wie ein Seil, dieses Blut,

Weitere Kostenlose Bücher