Der Traum des Schattens
gebissen?«, fragte Réka.
Als die Worte sie endlich erreichten, klangen sie falsch, waren es Worte, vor denen sie sich mehr fürchtete als vor dem Vampir.
» Du… auch?«
Réka fing Mária auf, als diese schwankte, hielt sie fest, als sie vor ihr zurückzuckte, und seufzte.
» Das hier solltest du so schnell wie möglich wieder vergessen. Tut mir leid.«
Es war nur ein kurzer Schmerz an ihrem Hals. Alles begann sich zu drehen, die Straße verschob sich, die Häuser wankten gegeneinander…
Gleich darauf rückte alles wieder an seinen Platz. Eine warme Sommernacht. Da, die Eingangstür. Oben brannte noch Licht, wo ihre Oma auf sie wartete.
Die Welt war wieder in Ordnung.
Réka brachte ihre Freundin bis vor die Haustür. Magdolna, Márias Großmutter, öffnete trotz der späten Stunde sofort.
» Ich hab mir Sorgen gemacht. Was ist mit ihr? Was hast du getan?«
Niemand wusste, dass Réka ein Schatten war. Niemand aus ihrer Familie und von ihren Bekannten, nur Hanna und Mattim. Doch diese alte Frau schien sie mit einem einzigen Blick zu durchschauen, bis auf den Grund ihrer toten Seele.
» Nichts«, sagte sie schroff und ließ Mária über die Schwelle torkeln. » Gar nichts.«
Hastig kehrte sie um und rannte die Treppe hinunter. Man wurde nicht belohnt für gute Taten. Nie. Kunun hatte ganz recht, am besten sah man, wo man selbst blieb.
Im darunterliegenden Stockwerk verharrte das Mädchen kurz vor einer der schlammbraunen Wohnungstüren, von Sehnsucht überwältigt. Seit einigen Monaten lebte ihre Mutter hinter dieser Tür, und immer noch war es für Réka ein seltsames Gefühl, dass sich ein Teil ihres Zuhauses nun hier befand, in diesem tristen Wohnblock, direkt unter Márias Wohnung. Einen herrlichen Moment lang bestand die Möglichkeit, dass sie klopfen könnte. Ihre Mutter würde öffnen, Attila ihr um den Hals fallen, und sie würde ihnen alles erzählen. Mama, ich bin jetzt ein Schatten. Weißt du, was das ist? Ich bin ein Vampir.
Doch dann dachte sie an Magdolnas kalten, wissenden Blick, und mit einem heimlichen Seufzer setzte sie ihren Weg fort. Der Wolf wartete auf der Straße, um sie sicher nach Hause zu begleiten.
4
BUDAPEST, UNGARN
So leise wie möglich schlich Réka ins Haus. Wieder einmal bedauerte sie, dass sie es nicht fertigbrachte, durch Wände zu gehen. Natürlich hatte sie es versucht, aber wo andere Schatten scheinbar mühelos in die Dunkelheit eintauchten, stieß sie nur gegen eine undurchdringliche Mauer.
Es wäre einfach zu praktisch gewesen, denn dann hätte sie ihrem Vater ausweichen und so tun können, als wäre sie schon seit vielen Stunden da.
Er hatte auf sie gewartet. Im Wohnzimmer brannte noch Licht, und prompt erschien er in der Tür. » Es ist halb sieben! Morgens!«
» Ich weiß.«
Sie hasste sich dafür, wie kleinlaut ihre Stimme klang. Vorhin, als sie für Mária gekämpft hatte, hatte sie sich stark gefühlt, gefährlich, unbesiegbar. Jetzt war sie wieder bloß Réka, der Teenager. Unwillkürlich zog sie die Schultern ein, während die väterliche Schimpftirade wie ein Unwetter auf sie niederprasselte.
» Auch wenn in ein paar Tagen die Sommerferien anfangen– ich erlaube dir nicht, die Schule zu schwänzen. Was glaubst du, was ich mir für Sorgen gemacht habe! Wie siehst du überhaupt aus?«
Sie wollte sich an ihm vorbeidrängen, zur Treppe, aber er packte sie am Arm.
» Réka, so nicht! Was ist mit dir passiert? Rede mit mir!«
Sie sah schrecklich aus, das wusste sie selbst. Das Make-up war vom Regen verwischt. Ein roter Abdruck prangte auf ihrer Wange, glühend heiß, wo der fremde Schatten sie im Kampf um Mária geschlagen hatte. Sie wusste, dass sie sich den Schmerz nur einbildete, dass sie dazu fähig sein musste, ihn einfach abzuschalten, so wie das Atmen. Aber sie vermochte es nicht. Ihr Gesicht brannte.
» Wer hat das getan?«, wollte Ferenc wissen. » Hattest du Ärger? Hat jemand versucht, dich zu irgendetwas zu zwingen?«
Halb erwartete sie, dass er sie auch noch ohrfeigte, so wütend klang er. Na los, dachte sie trotzig. Versuch es. Wenn du das wagst … Mit der Zunge befühlte sie ihre Zähne. Es war nicht das Verlangen nach Blut, das die Fangzähne wachsen ließ, auch nicht die Gier oder der Hunger. Nur der Wille.
» Mária hatte Ärger mit einem Typen, und ich bin dazwischengegangen«, erklärte sie.
Ich bin eine Heldin. Aber sie fühlte sich nicht so. Bloß schwach und erschrocken und verletzt, und einen Moment lang wünschte sie
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