Der Traum des Schattens
Prinzessin. Ich gehöre nach Akink. Es darf nicht sein, dass alles schiefläuft. Ich will es nicht. Es soll alles so bleiben, wie es ist.«
Frau Apeler starrte sie an, als hätte sie den Verstand verloren. » Was?«
Mist! Hatte sie wirklich laut gedacht?
Auf eine völlig überdrehte, verrückte Art tat es gut, all das endlich auszusprechen. » Sie werden nie wieder zu mir sagen, dass ich dumm bin. Nie wieder! Ich bin kein Kind. Ich bin ein unsterblicher Schatten, ich bin ein gefährliches Geschöpf der Nacht.«
» Wie bitte?«
Wenn sie doch nur die Macht gehabt hätte, dieser Frau die Wahrheit ins Hirn zu hämmern. Die Wahrheit– dass sie das Recht hatte, sich so zu benehmen, wie sie wollte. Niemand durfte sie vertreiben. Niemand durfte ihr übelnehmen, wenn sie einen schlechten Tag hatte oder sich im Ton vergriff. Es war nicht fair!
» Jetzt reicht es wirklich«, sagte Frau Apeler. Sie schüttelte den Kopf und ging zum Pult zurück, wo sie ihre Unterlagen in ihre Tasche packte. » Ich werde deinen Eltern einen Drogentest nahelegen.«
Réka sprang über den Tisch, wobei sie Stifte und Hefte hinunterriss. » Nein, warten Sie!« Sie packte die Hand der Lehrerin. » Nein!«
» Réka, was soll das…?«
Aber dann, schon nach wenigen Schlucken, verschwand das Entsetzen aus ihrem Gesicht. So war es immer. Sie wurden so… friedlich.
Frau Apeler hielt ganz still. Sie zitterte leicht, während Réka an ihrem Handgelenk saugte.
Wie viel sollte sie nehmen? Wie viel, um diese letzten Sätze auszulöschen? Oder doch das ganze misslungene Gespräch? Sie hatte keine Ahnung.
Sie trank, bis Ekel sie übermannte. Es kam ihr vor, als hätte sie diese alte Schnepfe auf den Mund geküsst. Angewidert trat sie zurück.
Frau Apeler stand da, ans Pult gelehnt, und sah aus wie ein Gespenst. Mit leerem Blick starrte sie vor sich hin.
Réka wollte noch etwas sagen– etwas wie: » He, alles ist gut«–, aber ihr Mund war voller Blut. Das Ekelgefühl wurde stärker. Nachts war es anders. Vergangene Nacht hatte sie sich stark und gefährlich gefühlt. Jetzt war es einfach nur widerwärtig.
Sie lief zur Tür, hinaus auf den stillen Gang, und rannte zur Toilette, wo sie das Blut in einem endlosen Schwall erbrach.
Der schwarze BMW wartete am Straßenrand. Durch die getönten Scheiben konnte man nicht sehen, wer darin saß, doch Réka kannte dieses Auto.
Atschorek.
Verdammt, so schnell! Der miese, kleine Schatten hatte offenbar nichts Besseres zu tun gehabt, als sie sofort anzuschwärzen. Er hatte sie einfach bei einem von Kununs Wächtern verpetzt, die er über die ganze Stadt verteilt hatte. Soviel sie wusste, bekam jeder der neuen Stadtvampire einen magyrianischen Ansprechpartner, an den er sich wenden konnte und der ihm die Regeln des Überlebens erklärte, aber sie hatte sich so sehr gewünscht, dass der Typ den Vorfall nicht meldete.
Réka ballte die Fäuste und versuchte Kraft zu sammeln. Hinter ihr riefen ihre Freundinnen irgendetwas, aber sie straffte sich und ging auf den Wagen zu.
Die Scheibe glitt lautlos herunter. » Guten Morgen, meine Süße.« Eine Stimme wie Kuchen und Honig und Zuckerguss. » Steig hinten ein, wir fahren ein Stück.«
Rékas Stärke zerbröckelte vor Angst, während sie die Tür öffnete und sich auf die Rückbank setzte.
Dort saß schon jemand, ein Mann mit einem Gesicht wie ein Schlachtfeld. Doch Réka nahm nichts davon wahr. Nur die Augen, nur das kühle Lächeln.
» Kunun«, flüsterte sie. Alle Ängste fielen von ihr ab. Er war da. Er war zur Schule gekommen, um sie aus ihrem fürchterlichen Leben zu holen. Endlich!
Der Schattenkönig hob abwehrend die Hand, als sie näher an ihn heranrücken wollte.
» Reiß dich zusammen«, sagte Atschorek von vorne. Ihre dunklen Augen funkelten scharf und kalt im Rückspiegel, die Augen eines Raubvogels. » Hör einfach zu und antworte.«
» Ja.«
Sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden, ihr Inneres schmolz dahin. Kunun in seinem schwarzen Mantel. Jedes Detail prägte sich ihr ein, war für sie wertvoll. Dass er Handschuhe trug. Der prächtige Ring an seiner Linken. Die Haare, die er über die tiefe Furche an seiner Wange gekämmt hatte und die das Mal doch nicht verdecken konnten.
Seine samtige Stimme war schneidend wie eine Messerklinge. » Hattest du in letzter Zeit Kontakt zu Hanna?«
Réka war für einen Moment verwirrt. Sie hatte eine Strafpredigt wegen ihrer nächtlichen Verfehlung befürchtet, eine freundliche, liebevolle
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