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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Kunun. Er beugte sich zu ihr hinunter, bis seine Stirn die ihre berührte. Die schwarzen Strähnen kitzelten ihre Haut. Er hatte die Augen halb geschlossen, und sie spürte seine Angst. » Attila könnte ein Lichtkind sein, Hanna. Wenn meine Feinde das herausfinden, werden sie ihn dazu benutzen, um Magyria zu zerstören. Um alles zu vernichten. Wir werden alle sterben, Hanna. Du kannst dir nicht vorstellen, welche Macht ein Lichtkind hat, das aus dieser Welt stammt. So etwas gab es noch nie, nicht in der langen Tradition meiner Familie. Es würde uns alle zu Asche verbrennen, uns genauso wie die Rebellen.«
    » Dann werden sie ihn nicht einsetzen«, meinte Hanna. » Sie würden sich ja selbst damit schaden.«
    » Mattim würde es tun«, widersprach Kunun leise, » mein verrückter Bruder. Falls er geflohen ist… Ich habe immer noch nichts von Atschorek gehört. Wir müssen uns beeilen. Wenn Mattim Wind von der Sache mit Attila bekommt, könnte er uns alle vernichten, und am Ende bleibt nur er übrig. Ein einzelner Mensch auf einem Schlachtfeld voller rauchender Überreste. Er kann sich nicht geschlagen geben, das liegt in seiner Natur. Er oder ich. Ich glaube, so war es schon immer.«
    Sie legte ihre Hand an seine zerfurchte Wange. Da war ein Gefühl … aber sie hätte nicht sagen können, was sie fühlte.
    Er küsste sie auf die Stirn. » Zweifel?«
    » Nein«, sagte Hanna. » Keine Zweifel.«
    Sie hielt ihn fest, keinen Millimeter rückte sie aus seiner Umarmung, sein Körper dicht an ihrem, fest, muskulös. Vorsichtig schnupperte sie, aber da war nur der schwere Geruch der Dunkelheit, undefinierbar, so wie die Nachtluft duftete oder Steine im Regen rochen. Kein Vergleich mit Mattim, mit seiner Wärme, der Bräune seiner verschwitzten Haut. Sie dachte wieder an die Fotos, an seine dunkel gekleidete Gestalt mitten im gleißenden Licht und fragte sich, wie sehr sie ihn wohl geliebt hatte. Fragte sich, ob diese andere Hanna, an die sie sich nicht mehr erinnern konnte, verrückt nach ihm gewesen war. Welche Entscheidung sie getroffen hätte. Natürlich hätte die alte Hanna Mattim viel besser einschätzen können. Würde er tatsächlich einen kleinen Jungen benutzen, um ganz Magyria und alle Schatten zu vernichten?
    » Hilf mir«, sagte Kunun. » Sprich mit Réka. Meine Drohungen machen sie bloß störrisch. Ich kann sie nicht hypnotisieren oder ihr den Trotz aus der Seele saugen, einem Schatten gegenüber bin ich machtlos. Sei nett zu ihr, dann wird sie dir sicher alles verraten, was sie weiß.«
    » Ja«, sagte Hanna, » verlass dich auf mich.«
    Weil ich ein Schatten bin, halte ich deinem Blick stand. Weil ich bin, wozu du mich gemacht hast, kann ich dich anlächeln und Verrat planen, den schlimmsten Verrat, der nur denkbar ist.
    Wie eine Schlafwandlerin fühlte sie sich, als sie die Treppe hinunterging. Réka saß auf dem Bordstein, bewacht von einer Schar Schattensoldaten. Auch einige Wölfe lauerten in der Nähe, kleine Wölfe, nervös, auf dem Sprung.
    Hanna setzte sich neben das Mädchen.
    » Ich konnte Kunun überzeugen«, sagte sie. » Er stimmt der Verwandlung zu. Dadurch kann Attila wenigstens am Leben bleiben.«
    » Am Leben?« Rékas Lächeln war leicht wie eine Feder, schwerelos. Es gehörte einem Mädchen, das dem Tod in mehrfacher Gestalt begegnet war– in der Liebe zu einem Vampir, in der Verwandlung in einen Schatten, im Zerfall ihrer Familie, in der gnadenlosen Zurückweisung. Sie kämpfte nicht mehr. Sie war einen Schritt zur Seite getreten und betrachtete alles wie von oben, als hätte sich ihre Seele längst von ihrem Körper gelöst. » Ist das nicht ein zu großes Risiko für Kunun? Warum redest du es ihm nicht aus? Solltest du nicht auf seiner Seite stehen?«
    Hanna verwandelte ihr Gesicht in ein Spiegelbild von Atschoreks sanfter Bösartigkeit. » Das tue ich ja, auf meine Weise. Hast du ihn jemals verstanden? Er vernichtet alles, woran er hängt, danach fühlt er sich noch schlechter und dunkler, und als Folge davon vernichtet er noch mehr.« All das stimmte, und während sie sprach, verkrampfte sich ihr Inneres vor Kummer.
    » Wow«, sagte das Mädchen. » Ich glaube, du liebst ihn wirklich.«
    » Er würde das Kind töten und es nachher bereuen. Deshalb können wir ihm nur helfen, wenn wir ihn aufhalten. Lassen wir ihn in dem Glauben, er könne Attila ganz leicht finden und ihn verwandeln lassen.«
    » So einfach ist es aber nicht«, sagte Réka. » Er kann Atilla nicht nach Magyria

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