Der Traum des Schattens
sein Zorn nicht grundlos. Sein ohnmächtiger Zorn darüber, sie an der Seite seines Feindes zu sehen.
Hanna schloss die Augen und versuchte, die verschüttete Liebe zurückzurufen, doch es war sinnlos. Die Bilder, nach denen sie rief, verweigerten sich ihr. Kunun hatte ganze Arbeit geleistet, als er sie eines Teils ihres Selbst beraubt hatte.
Schatten weinten nicht. Nein, außerdem hatte sie Wichtigeres zu tun. Sie musste Attila finden, bevor es Kunun gelang.
Die Rebellen arbeiteten lautlos, achteten auf Heimlichkeit. Sie huschten durch Pforten an abgelegenen Orten, tränkten Strohballen mit Öl, präparierten Dachböden, wichen drüben in Buda herabfallenden Steinen aus. Überall gellten Martinshörner durch den finsteren Tag.
Im Wald klopfte sich eine junge Frau Blätter und Erde von den Kleidern und betrachtete nachdenklich den spitzen, blutverkrusteten Dolch, den jemand aus ihrem Rücken gezogen hatte. » Bin ich jetzt ein Vampir?«
» Du bist ein Schatten«, antwortete Farank. » Du musst kein Blut trinken und niemanden verletzen, wenn du hier in der Dunkelheit Magyrias bleibst. Du kannst sogar zurück nach Budapest, solange es dort so nebelig ist.«
» Nein«, entgegnete Mária. Sie hob den Kopf, und ihr Lächeln hatte etwas Finsteres. » Nein, ich bleibe hier. Dieses Schwein Kunun hat meine Oma umgebracht. Ich will Blut sehen!«
Die Brücke schwang sachte hin und her. Nach dem Ritt auf den Schattenpferden bereitete Mattim dieses Schaukeln keinerlei Probleme. Er hielt sein Schwert kampfbereit.
Mirontschek war blass. Hoheitsvoll hatte er den Menschen zugenickt, die die Straße säumten, doch jetzt fiel die Maske der Gelassenheit von ihm ab. » Wir müssen das nicht tun«, sagte er.
» Doch«, widersprach Mattim, » das müssen wir.« Er hatte nicht vor, irgendetwas zu erklären. Je weniger sein Gegenüber wusste, umso besser.
Der Fürst eröffnete den Kampf, indem er einen Streich von unten führte, den Mattim mühelos abwehrte. Die Schläge wurden schneller, härter. Mattim beschloss zum Gegenangriff überzugehen, doch der Fürst bedrängte ihn hart. Er kämpfte gut, offenbar hatte er eine exzellente Ausbildung genossen. Sein Leben lang war er auf diesen Tag vorbereitet worden.
Mattim war sich ebenfalls der vielen Augenpaare bewusst, die von der Stadt her den Kampf beobachten. Natürlich gehörte die Sympathie der Leute ihrem Oberhaupt, doch Mattim war sich sicher, dass seine unkonventionelle Anreise sich herumgesprochen hatte und ihm den Respekt verschaffte, den er hier dringend brauchte.
Angriff, Abwehr, ein Schritt vor, zwei Schritte zurück, ducken, drehen. Die Brücke schaukelte immer heftiger. Der Wind kam kalt und scharf von Norden und schien aus Dunkelheit und Morgenfrische zu bestehen. Der Tag wollte sich freikämpfen, was ihm nicht gelang. Deshalb war Mattim hier, der Wegbereiter des Lichts. Deshalb zwang er seine zunehmend müde werdenden Arme, das Schwert festzuhalten und auf einen Mann loszugehen, der sein Freund hätte sein sollen. Er machte einen Schritt zurück, sein Fuß verfing sich zwischen den Bohlen, und er stolperte. Sofort war Mirontschek über ihm. Mattim stieß sich ab und trat ihm gegen die Knie. Während sein Gegner mit seinem Gleichgewicht rang, sprang er selbst wieder auf die Füße.
» Ihr könnt immer noch aufgeben und verschwinden, Wolfsprinz«, keuchte der junge Fürst.
Mattim sparte sich die Mühe einer Antwort. Auf zur nächsten Runde. Er musste dafür sorgen, dass sich der Kampf nicht allzu lange hinzog. Mirontschek war auf diese Art von Duell weitaus besser eingestellt, ihm bereiteten die Schwingungen der Brücke und der Wind keine Schwierigkeiten. Er war schnell und geschickt, seine Bewegungen hatten etwas Zackiges. Von einer Sekunde auf die nächste konnte er die Richtung ändern. Dass Mattim stärker war, spielte hier oben über den Wolken keine Rolle. Wenn es so weiterging, würde er den Kampf verlieren.
Der Wegbereiter des Lichts…
Er entschloss sich, seine Taktik zu ändern. Keine Spielchen mehr, kein Tanzen und Ausweichen. Mit wuchtigen Schlägen ging er auf den Fürsten los, der sich notgedrungen darauf beschränken musste, sich zu wehren. Schon stand er am Geländer, in die Enge getrieben. Eine geschickte Drehung des Handgelenks, und Mirontscheks Schwert flog in hohem Bogen davon und schlitterte über die Bretter.
Der Jaschbiner warf einen abschätzenden Blick auf seinen Gegner und hechtete der Waffe nach, doch Mattim, der nur darauf gewartet
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