Der Traum des Schattens
gehen lassen, also muss es hier geschehen. Allerdings braucht er dazu einen Schattenwolf, und die werden bekanntlich wahnsinnig, sobald sie über die Grenze treten. Ich habe solche Angst, Hanna, dass es schiefgeht, dass der Wolf meinem Bruder etwas antut. Er ist erst neun!«
» Wilder würde nicht wahnsinnig werden. Hör mir zu, Réka, wir müssen uns beeilen. Die Sache wird schlimm ausgehen, wenn es zu einem Kampf kommt, wenn erst Pfeile oder Kugeln fliegen… Bitte sag mir, wo Attila ist.«
» Ich vermute, sie sind bei meiner Oma.– Warte!«, rief sie, als Hanna aufsprang. » Nimm mich mit! Ich kann dir sagen, wo sie wohnt, ich zeige dir den Weg. Ich will dabei sein, wenn der Wolf kommt. Ich… ich kann Attila erklären, warum es notwendig ist. Er vertraut mir.«
Kunun tauchte hinter ihnen aus der Dunkelheit auf. » Und?«
» Bei Rékas Oma«, sagte Hanna.
» Die Adresse?«
Kaum hatte Réka schwerfällig die Angaben ausgespuckt, da war Kunun schon auf dem Weg zu seinem Wagen.
» Ich komme mit!«, rief Hanna.
» Nein, tu dir das nicht an. Das ist kein schöner Anblick. Der Wolf… Nein, bleib hier. Falls der Junge doch nicht dort ist, falls er hier auftaucht… Ich brauche jemanden, der am Haus die Stellung hält.«
Bevor Hanna ihm viel Erfolg wünschen konnte, stürzte ein Schatten mit weit aufgerissenen Augen herbei. » Wir werden angegriffen!«, rief er schon von weitem.
Kunun, den Fuß schon halb im Auto, drehte sich um.
» Akink steht unter Beschuss!«
» Was?«, fragte Kunun entgeistert. » Das muss Mattim sein, unser Vater hätte sich nie auf so etwas eingelassen. Dieser verdammte Narr! Er hat keine Chance, nur mit einer Handvoll Rebellen!«
Der Schattenkönig hielt sich an der Tür fest, er schwankte. Hanna konnte fast sehen, wie hinter seiner Stirn ein Kampf tobte. Welche Gefahr war größer? Attila oder Akink? Wo war seine Anwesenheit nötig? » Nicht jetzt!«, schrie er außer sich. » Nicht ausgerechnet jetzt!« Sein Gesicht verzerrte sich fürchterlich, während er um Fassung rang.
» Erst das Kind«, sagt er schließlich. » Hanna, du gehst sofort nach Akink. Sollte Atschorek immer noch nicht da sein, übernimmst du das Kommando.« Er strich ihr mit den Fingerspitzen über die Wange. » Verteidige Akink, bis ich komme.– Haltet die Stellung!«, rief er seinen Soldaten zu. » Blast das Horn. Ich brauche alle, jeden einzelnen meiner Untertanen!«
Damit brauste er davon.
» Na los, worauf wartet ihr?«, fuhr Hanna die Wächter an. » Auf, nach Akink! Ich muss hier nur kurz etwas klären.«
Die Männer rannten los, und Hanna packte Réka bei den Schultern. » Du musst deinen Vater noch mal anrufen! Warne ihn, er muss verschwinden!«
Das Mädchen blinzelte zu ihr auf. » Keine Sorge, sie sind gar nicht dort. Ich habe natürlich gelogen. Wenn Papa nicht will, dass meine Mutter Attila findet, wird er wohl kaum zu unserer Oma fahren.«
» Du hast also keine Ahnung, wo sie sind?« Hanna konnte kaum ausdrücken, wie erleichtert sie war. » Demnach verschwendet Kunun seine Zeit, und wir müssen diese paar Stunden nutzen. Versuch weiterhin rauszubekommen, wo sie sind. Danach gehst du gleich durch den nächsten Übergang in den Wald. Du musst einen Wolf finden, schnell! Such Wilder. Wenn irgendjemand Attila helfen kann, dann er. Hast du das begriffen?«
» Aye, aye, Sir.« Réka salutierte zackig, dann stolperte sie auf die Markierung zu, die den Standort der Pforte verriet. Hanna wartete nur kurz, bis das Mädchen verschwunden war, dann folgte sie ihr.
Sofort umfing sie der Wald. Hanna rannte. Sie rannte, als gelte es ihr Leben, und bei jedem Schritt war der Name in ihrem Herzen, der Pulsschlag der Angst: Attila, Attila…
Für einen Vertreter ihrer Gattung war die Fledermaus recht groß, sie ähnelte eher einer Krähe als den kleinen, huschenden Schatten, die Mattim kannte.
» Ich nehme an, Ihr seid gekommen, um mich zu beglückwünschen?«, fragte er.
Die Fledermaus landete vor ihm auf der Straße, und im nächsten Moment stand Mirontschek vor ihm. Nackt, doch ohne das geringste Zeichen von Verlegenheit. Seine Augen funkelten wild, er atmete heftig.
Mattim legte die Schwerter nieder, zog seinen Mantel aus und reichte ihn dem jungen Mann.
» Ich bin nicht tot«, stieß Mirontschek hervor. » Die Stadt gehört Euch nicht! Wir können weiterkämpfen!«
» Ich habe gesiegt«, sagte Mattim kühl, » vor genügend Zeugen. Nach den Gesetzen Jaschbiniads habe ich Euch damit abgelöst. Auf
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