Der Traum des Schattens
ein Wägelchen vor sich herschob. Unförmige Fladen hingen an einer Holzstange und dufteten verlockend.
Der Wolf seufzte sehr menschlich.
» Du hast auch Hunger, stimmt’s?«
Er hielt sie nicht zurück, als sie an den Mann herantrat. Hastig fingerte sie in ihren Taschen nach ein paar Münzen, aber natürlich waren sie leer.
» Greif zu«, sagte der Verkäufer. » Es kostet nichts. Nur die Mühe, so zu tun, als hätte sich nichts in dieser Welt geändert. Nur ein bisschen Mehl und Butter. Nur ein wenig Zeit, der dunklen Ewigkeit gestohlen. Nimm, iss. Sie schmecken so gut wie eh und je.«
Mónika ließ sich nicht lange bitten. » Danke. Wenn sie so gut schmecken, wie sie duften…«
Der Wolf seufzte etwas lauter.
» Darf ich auch für ihn…?«
» Natürlich«, sagte der Alte. Er musterte den Wolf, doch selbst seine Blicke waren vorsichtig. » Wer könnte einem wie dir etwas verwehren? Schattenwolf, Weltenzerstörer. Deine Zähne sind die Nägel, die beide Welten aneinanderheften.«
Der rote Wolf fraß den Fladen und erwiderte den Blick ungerührt. Er hatte etwas Trotziges, Herausforderndes an sich.
» Mir kannst du nichts«, sagte der Verkäufer. » Ich bin längst verwandelt. Aber was hast du mit der schönen Dame hier vor?– Hüte dich«, sagte er an Mónika gewandt. » Solche wie er haben das Gefüge der Welt zerrissen. Sie sind die Dunkelheit, und wenn du nicht aufpasst, wird er deine Seele fressen.«
» Er weiß, was er tut«, sagte sie, denn mit einem Mal hatte sie das Bedürfnis, den Wolf zu verteidigen.
» Ich hoffe bloß, du weißt es auch.«
Nein, dachte Mónika, während sie dem roten Wolf weiter folgte, zufriedener, mutiger und dennoch genauso verwirrt wie zuvor. Ich habe absolut keine Ahnung, was ich hier tue.
Vor dem Burghof hielt ein Wächter sie an. » Menschenfrau«, rief er schroff, » was hast du hier verloren?« Dann erblickte er den Wolf und verneigte sich. » Bitte sehr, Prinz Wilder. Ich wollte nicht unhöflich sein.«
» Ein Prinz bist du also.« Mónika konnte nicht umhin, das lustig zu finden. » Prinz Wolf, Prinz Wilder. Was für ein vornehmes Tier! Bringst du mich vor den König selbst?«
Doch ihr Begleiter wählte nicht die große Treppe, die herrschaftlich nach oben vor den Eingang führte, sondern brachte sie zu einem Hintereingang, den sonst vermutlich das Personal benutzte. Wozu hätten die Schatten Diener und Küchenmädchen gebraucht? Still und verlassen war diese Tür, zu nichts mehr nütze. Sie schlüpften beide hindurch. Ja, hier mochte die Küche gewesen sein. Jetzt war sie verlassen und dunkel, kaum waren die Gerätschaften zu erkennen, und es roch nach kalter Asche.
Mónika folgte dem Wolf durch die hallenden Korridore. Sie presste sich gegen die Wand, wenn er es tat, und verbarg sich in Nischen, wenn Wächter vorbeimarschierten. Schließlich erreichten sie eine schmale, unauffällige Tür, vor der ein grauer Wolf döste. Er hob den Kopf, bemerkte die beiden Ankömmlinge und richtete sich steifbeinig auf. Forschend ruhten seine klugen Augen auf ihnen, dann trat er beiseite.
Die Tür war nicht verschlossen, und Mónika schob sie behutsam auf. Sie hatte den Eindruck eines Déjà-vus, es war, als wäre sie schon einmal hier gewesen. Doch wie hätte das sein können, und wann?
Es war viel zu dunkel, um irgendetwas zu sehen. Der rote Wolf verschwand und kam wenig später zurück, eine kleine Öllampe zwischen den Zähnen.
» Du denkst aber auch an alles. Ich soll mir das hier also ansehen? Was ist das? Bilder? Ja, Porträts. Das hier ist Mattim, klar. Und die übrigen?«
Sie hielt die Laterne hoch und schritt die Wand ab. Es waren acht Gemälde: Kunun ganz hinten, Mattim in der Nähe der Tür, dazwischen sechs weitere, drei Männer und drei Mädchen.
Aber es war nur ein Bild, das Mónikas Aufmerksamkeit weckte: ein junger Mann mit rotem Haar.
Sie ließ die Lampe fallen, die auf dem Steinfußboden zersprang. Eine kleine Pfütze brennendes Öl breitete sich auf dem Boden aus, die Flammen erhellten die Bilder, auch dieses eine, das sie anging, das Bild, wegen dem der Wolf sie hergebracht hatte.
» Willi«, flüsterte sie.
Sie sank auf die Knie, auf den harten Boden. Hinter ihr erstarben die Flammen, als sie keine weitere Nahrung fanden, und gingen aus. Nun hockte sie im Dunkeln, allein mit ihrer Vergangenheit, mit einer Wahrheit, die sich nicht länger verdrängen ließ.
» Ich habe ihn so sehr geliebt. Für ihn wollte ich die Scheidung einreichen, doch dann
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