Der Traum des Schattens
Mattims Stadt. Wenn er davon erzählt hat, klang es nicht so real wie… wie das hier. Hätten wir nicht einfach über die Brücke gehen können, Superwolf?«
» Ein Wolf«, murmelte Réka. » Wo bekomme ich denn bloß einen Wolf her? Es muss Wilder sein.« Sie kämpfte sich durch den Wald, befreite sich von den Schlingpflanzen, die sich in ihrem Haar verkrallten. Sie rief, rief laut, aber es kam keine Antwort. » Wilder! Bist du da? Wo bist du?«
Verzweiflung brannte in ihr und wilde Furcht. Es war die letzte Möglichkeit, die einzige, um ihren Bruder zu retten. Sie brauchte einen Schattenwolf, der nicht wahnsinnig wurde.
» Wilder!«
Ein kleiner Wolf brach durchs Gebüsch. Sie wartete auf weitere, aber er schien allein zu sein.
» Einen wie dich kann ich nicht gebrauchen«, beschied sie ihm schroff.
Er drängte sich an sie, eher zudringlich als zutraulich, als wollte er sie in eine bestimmte Richtung schubsen.
» Du willst mir sagen, wo er ist?« Sie kannte den kleinen Wolf nicht, aber er schien zu wissen, wohin er wollte.
Plötzlich blieb er stehen. Schritte waren zu hören, ganz leise über dem Blätterboden, Rascheln, das Tappen von Pfoten. Im Dämmerlicht wirkte der zweite Wolf grau, doch irgendetwas sagte Réka, dass er rot war. Rot und so langbeinig und groß, wie es nur Schattenwölfe waren.
Wilder!, wollte sie schon schreien, aber rechtzeitig biss sie sich auf die Zunge. Es war nicht Wilder, obwohl er ihm sehr ähnlich sah. Der fremde Wolf war verletzt und schleppte sich mühsam vorwärts.
Réka hielt mucksmäuschenstill und wartete, bis er vorbei war. Dann huschte der kleinere Wolf weiter, und sie folgte ihm. In ihrer Brust spürte sie ein dumpfes Brennen der Sorge. Was ging in diesem Wald vor sich?
Dann tauchte endlich der Fluss vor ihnen auf, und zwischen dem Schilf, nur gegen das kränkliche Leuchten des Donua erkennbar, waren die schwarzen Umrisse eines mächtigen Schattenwolfes zu sehen.
» Bela! Da bist du ja!«
Réka stürmte vorwärts, watete durch das Nass, das weder warm noch kalt war, als wäre selbst das Wasser verstorben. » Wo ist Wilder? Ich brauche ihn unbedingt! Er muss meinen Bruder verwandeln!«
In diesem Moment sah sie, dass Bela nicht allein war. Vor ihm im Morast lag etwas. Eine Leiche, dachte Réka.
» Hallo, Réka«, sagte Mirita.
Das Mädchen schrie auf. Sie hätte nicht gedacht, dass ein Schatten so erschrecken könnte. Sie wich zurück, stolperte, würgte, konnte kaum an sich halten. Erst als sie kein Wasser mehr unter den Füßen spürte, gaben die Knie unter ihr nach.
» Oh Gott«, rief sie, sie brüllte es, so laut sie konnte: » Oh Gott!«
33
VOR BUDAPEST, UNGARN
Was für ein Prachtmädel. Seit Bartók selbst ein Schatten war, hatte er keinerlei Berührungsängste, was Schattenfrauen anging, daher hatte er Goran einfach im Wagen mitgenommen. Sobald sie ihm mitgeteilt hatte, wie wichtig es war, Attila zu finden, hatte Bartók das Handy von Ferenc orten lassen. Dass die Information auch Kunun erreichte, konnte er nicht verhindern, denn große Teile der Polizei gehorchten dem Schattenkönig.
Also musste er schneller sein als die anderen, vor allem schneller als Kunun.
» Wir hätten einfach durch die Tür gehen sollen«, meinte Goran säuerlich, doch da hämmerte Bartók bereits dagegen. » Aufmachen, Polizei!«
Als wenn das für die Bewohner des Häuschens eine Überraschung gewesen wäre. Blaulicht und Sirenen von einem Dutzend Streifenwagen hatte das ganze Viertel in Alarmbereitschaft versetzt. Die Straße war gesperrt, das Haus, vor dem der schwarze Porsche Cayenne stand, war umstellt. An der Kreuzung hundert Meter weiter südlich würde auch der R8 halten müssen. Nur ein paar Sekunden würde Kunun brauchen, um die Polizisten– alles Schatten, ohne Ausnahme– dazu zu bewegen, die Sperre wegzuräumen.
Ferenc Szigethy öffnete. » Ich protestiere aufs Schärfste«, sagte er, bevor Bartók auch nur ein Wort geäußert hatte. » Das ist mein Sohn. Ich habe jedes Recht der Welt, ihn zu seiner Großtante zu bringen. Und was hat jemand wie Sie überhaupt mit solchen Lappalien zu schaffen? Sind Ehestreitigkeiten nicht unter Ihrer Würde?«
» Entführungen fallen durchaus in mein Ressort.« Bartók drängte den Mann zur Seite. Er hatte ihn noch nie besonders gut leiden können. » Attila?«, brüllte er durchs ganze Haus.
» Bleib, wo du bist!«, rief Ferenc. » Ich erlaube nicht, dass er weggeht. Er hat das Recht, seine Ferien hier zu verbringen, fern
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