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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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ist er verschwunden, ohne ein Wort, auf Nimmerwiedersehen. Von einem Tag auf den anderen war er weg. Erst bringt er mich dazu, mich auf ihn einzulassen, und dann geht er fort! Er hat mich verraten, wie mich noch nie irgendein Mensch verraten hat.«
    Nein, sie war nicht allein. Der Wolf atmete in ihren Nacken, er wartete. Worauf? Dass sie endlich begriff, wer er war?
    » Du bist es nicht«, sagte sie. » Du kannst es nicht sein. Du bist ein Wolf.«
    Solche wie du bringen Welten zum Einsturz …
    » Prinz Wilder. Aber…« Sie legte die Arme um ihn und zog ihn an sich. » Wilder? Ist das dein Name? Was würdest du mir erzählen, wenn du reden könntest? Dass du mich nie im Stich lassen wolltest? Dass du nicht wiedergekommen bist, weil du… ein Wolf geworden bist? Glaubst du, das interessiert mich jetzt noch, zehn Jahre später?«
    Tränen fielen auf ihre Hand, auf sein Fell, doch sie merkte nicht einmal, dass sie weinte. Sie saß nur da, im Dunkeln, den Wolf in ihren Armen, und vergaß die Welt um sich herum.
    » Er versucht uns abzudrängen.« Bartók fuhr mit fatalistischer Entschlossenheit weiter. » Wenn wir uns überschlagen, sind wir beide tot.« Ein Stück weiter verlief schon die Donau, die Straße führte direkt auf eine Brücke zu. Wenn der Schattenkönig ihn dort überholte und zum Stehenbleiben zwang, gab es keine Fluchtmöglichkeit. Deshalb hielt Bartók nach einer Stelle Ausschau, an der er gefahrlos von der Straße abkommen konnte– am besten eine Schotterpiste oder Ähnliches, auf der Kunun ihnen nicht so gut folgen konnte. Die Wiese neben ihnen schien ihm dazu geeignet. Er riss das Steuer herum, sie flogen über einen flachen Graben und kamen nach einer Weile zum Stehen. Es fühlte sich an wie eine misslungene Flugzeuglandung.
    » Tut mir leid, mein Junge«, sagte er. » Bist du in Ordnung?«
    » Mann«, meinte Attila, » können Sie nicht Auto fahren, oder was?«
    Kunun war inzwischen ausgestiegen. Er blickte ihnen über die Wiese nach, abschätzend.
    » Bleib im Wagen«, befahl Bartók dem Jungen und öffnete die Tür. » Erst wenn er hier ist und ich ihn festhalte, kommst du raus. Dann musst du laufen, so schnell du kannst.«
    Kunun war nicht allein. Weitere Fahrzeuge hielten an der Straße, Polizei und einige andere. Es wurden immer mehr, als hätte sich irgendwo ein Ameisenhügel geöffnet, der das Volk ausspie, schwarz und bissig.
    Attila hatte keine Chance. Selbst wenn der Junge um sein Leben rannte, würden sie ihn einkreisen und schnappen.
    » Nur über meine Leiche«, murmelte Bartók entschlossen. Wie sah das Ende eines Schattens aus, der nicht normal sterben konnte? Es war ihm egal. Die Schmerzen, das Elend… Komischerweise kümmerte es ihn nicht.
    Dennoch war er erleichtert, als er einen zweiten Trupp anrücken sah. Einen Wagen, über dem eine dunkle Wolke zu hängen schien, die von weitem aussah wie ein Mückenschwarm. Der Kommissar blinzelte. Nein, es waren Fledermäuse, unzählige. Mattim stieg aus, seine hochgewachsene Gestalt und das blonde Haar waren unverkennbar. Von Hanna war nichts zu sehen. Dafür erschienen neben Mattim ein Fremder in einem blauen Mantel und die Schattenfrau namens Goran, für die er eine kleine Schwäche hatte. Bartók grinste in sich hinein. Auch wenn der Zeitpunkt denkbar ungünstig war, oder vielleicht gerade deshalb, sollte er ihr eine Verabredung vorschlagen, die keiner von ihnen je einhalten würde.
    Der Schattenkönig warf Mattim einen abfälligen Blick zu. Ob ihn die Fledermäuse irritierten, ließ er sich nicht anmerken. » Irgendwie bist du nicht totzukriegen, Bruder. Wobei es verschiedene Abstufungen des Todes gibt, wie du vielleicht mittlerweile gemerkt hast. Sein Herzblatt zu verlieren– wie hat sich das angefühlt? Die Hoffnung zerschmettert zu sehen, ein ums andere Mal, ist das nicht wie Sterben?« Er wartete die Antwort nicht ab. » Was soll das hier sein, ein Überfallkommando aus geflügelten Nagetieren? Die sollen mich aufhalten, wenn ich mir den Jungen hole?«
    Mattim spürte seine beiden Freunde hinter sich.
    » An meinen Leuten kommt er nicht vorbei«, versprach Mirontschek leise.
    » Sie müssen ihn nur so lange aufhalten, bis die anderen Schatten eintreffen«, flüsterte Mattim.
    Kunun konnte ihn unmöglich gehört haben, dennoch verzog er höhnisch das Gesicht. » Glaubst du, diese wenigen Polizisten hier sind alles, was ich aufzubieten habe? Meine Truppen sind unterwegs. Du hast keine Chance, Brüderchen. In Akink konntest du

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