Der Traum des Schattens
Biegung, und der schwarze Schuh berührte den von unzähligen Tanzfesten glatten Fußboden des Saales. Sein Blick glitt über Hanna hinweg, als wäre sie nichts als ein Teil der Menge, dann schritt er durch die Tänzer. Hanna wunderte sich, dass sie ihn hören konnte, das leise Knarren der Schuhsohlen, das Quietschen des Leders, bis ihr plötzlich klar wurde, dass die Musik verstummt war. Atschorek stand hinter dem Pianisten und beugte sich über seinen Hals, anmutig und stolz wie eine Siamkatze. Der Schlagzeuger verlor seine Stöcke und tauchte ab, um sie zu suchen. Jemand sog scharf den Atem ein.
» Aber das…« Eine Frau lachte schrill auf. » Das ist jetzt ein Scherz, oder?«
Kunun blieb direkt vor ihr stehen. Es war jene Frau, die nicht daran hatte glauben wollen, dass sie betrunken war. Krisztina. » Ist das eine Maske?«, fragte sie laut. » Dann ist das die hässlichste Verkleidung, die ich je gesehen habe. Ist heute Halloween? Hab ich was verpasst?«
Hanna merkte, wie sich sämtliche Schatten anspannten, wie sie lauerten. Vermutlich auf den Befehl zum Angriff, darauf, die Beleidigung zu sühnen.
Wenn Krisztina nicht spätestens jetzt merkte, dass sie in Gefahr war… Sie merkte es tatsächlich. Als alle Tänzer um Kunun herum zur Seite wichen, wurde ihr bewusst, dass sie allein mit diesem finsteren Mann dastand. Mit einem Mann, dessen Gesicht so schrecklich war, dass es nur eine Maske sein konnte.
Krisztina erstarrte und trat einen Schritt zurück, doch Kununs Hand schnellte vor, und er packte sie am Arm.
» Nein, bleib ruhig da. Mein Gesicht gefällt dir also nicht?«
Hanna konnte von hier aus nur seinen Rücken sehen, das glänzende schwarze Haar. Man hätte daran glauben können, dass er schön war, dass er sein Geburtsrecht, dieses attraktive Gesicht, dem die Herzen zuflogen, behalten hatte so wie das Anrecht auf den Thron von Magyria. Ein Prinz, der durch die Wälder und die Straßen ritt und den alle liebten. Ja, man hätte es glauben können– sofern man nur seine Stimme hörte. Denn die war so schön wie eh und je, ein Lied der Nacht, klar und sanft zugleich. In dieser Stimme war alles, was sie mit diesem Mann erlebt hatte– das Eis über dem Fluss und die Finsternis über Magyria und ein Kuss in einem Fahrstuhl, ein Lachen und Réka, die wie tot in seinen Armen lag… All das war da, für Hanna, aber die fremde Frau wusste nicht das Geringste von diesen Dingen.
Sie starrte ihn ungläubig an und fragte: » Was… was ist hier eigentlich los?« Kunun zog sie näher an sich heran, und Krisztinas Augen weiteten sich. Sie öffnete den Mund, um zu schreien. » Nein! Lass mich los, du Scheusal!« Ihre Stimme gellte durch den Saal.
Das schien das Signal für die anderen Schatten zu sein. Bevor Panik ausbrechen konnte, schlugen die Vampire die spitzen Zähne durch parfümgetränkte Haut. Hanna konnte den Blick nicht von Kunun abwenden. Er nahm nicht viel. Nur ein kurzer Biss… aber Krisztinas Gesicht hatte sich verändert.
» Na?«, fragte er. » Hast du immer noch Angst vor mir?« Seine Stimme klang nicht mehr sanft, sondern bedrohlich.
Die Frau reagierte völlig falsch. » Nein«, stammelte sie. » Ich habe keine Angst. Ich vertraue dir.« » Du solltest mich besser fürchten«, sagte er. » Mehr als irgendetwas sonst. Weißt du das denn nicht?«
Krisztina strahlte ihn an. Was hatte er bloß mit ihr gemacht? Sie wirkte nicht im Mindesten verwirrt oder apathisch, auch nicht, als hätte sie vergessen, wer sie war und was sie hier tat. Hanna wusste, wie es war, gebissen zu werden. Der Augenblick unmittelbar danach, wenn die Welt aus dem Gleichgewicht geraten war… Diese Fremde war keineswegs durcheinander. Sie fragte nicht, wie sie hierhergekommen war noch wer er war oder warum ihr Begleiter sich demütig zurückgezogen hatte.
» Findest du mich attraktiv?«, fragte Kunun.
» Was? Nein, oh ganz bestimmt nicht. Du bist der gruseligste Typ, den ich je getroffen habe.« Ihr Lachen passte nicht zu ihren Worten, so frei und leicht, ein Lachen wie eine Pusteblume.
Mit den Fingerspitzen strich er ihr über die Wange. » Ich überlege noch, ob ich dich einfach zum Trinken benutzen soll, ob ich dich töten soll oder ob ich einen Wolf herbeirufe, der dich in einen Schatten verwandelt.«
» Ich verstehe das alles nicht«, sagte Krisztina verwundert, jedoch immer noch ohne Furcht. » Aber es ist mir egal. Such dir was aus, Narbenbacke.«
Das war nicht bloß unglaublich furchtlos, sondern forderte
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