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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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das Schicksal geradezu heraus. Hanna fröstelte.
    Die Musiker fingen wieder an zu spielen, allerdings klang es, als wären sie betrunken. Der Pianist lag halb auf den Tasten, der Cellist betrachtete gedankenverloren seinen Bogen, nur der Schlagzeuger machte sich mit Schwung an die Arbeit, während der Mann mit der Gitarre sich verwundert aufrappelte. Der Bassist schien bereits im Koma zu liegen.
    Hanna huschte zu einer der Treppen und stieg rasch die Stufen hinauf. Von oben wagte sie einen Blick in die Menge. Sie suchte nach Kunun, denn sie wollte unbedingt wissen, was er mit der Frau gemacht hatte, der es egal gewesen war, was aus ihr wurde. Stattdessen sah sie, wie die Tanzenden zurückwichen, um fünf Wölfen Platz zu machen, die wie Könige mit hocherhobenen Köpfen durch den Saal stolzierten. Es waren Schattenwölfe.
    Hastig öffnete sie eine Tür und stand in einem schummerig beleuchteten Flur, von dem weitere Türen abzweigten. Mit den grob gemauerten Wänden wirkte dieser Teil der Burg uralt, ein völliger Gegensatz zu der modernen Musik und den Partykleidern unten im Saal. Bis auf das Dröhnen der Bässe war alles still; offenbar hatten sich sämtliche Schatten auf dem Fest zusammengefunden.
    Sie ging schnell und blickte sich mehrmals um. Kam Réka ihr denn nicht nach, wie sie es besprochen hatten?
    » Was tust du hier? Wer bist du?«
    Sie fuhr herum. Lautlos tauchte eine Wächterin aus dem Dunkel auf. Eine Schattenfrau, deren blonde Locken ihr weich über die Schultern fielen. Von allen Schatten dieser Welt musste sie ausgerechnet auf Mirita stoßen.
    » Hanna? Bist du es wirklich? Ich hätte dich ja fast nicht erkannt. Warum die blonden Haare? Willst du dich als mich ausgeben?«
    » Du lebst? Hat Kunun dich nicht bestraft für die Sache mit den Wölfen?«
    Hanna hatte erst im Nachhinein von Mattim erfahren, dass seine ehemalige Wächterkameradin Mirita die Wölfe zu Hilfe gerufen und ihnen die Pforte geöffnet hatte, damit Mattim und ein ganzes Rudel von Wölfen Hanna retten konnten. Es war zu einem Blutbad auf dem Heldenplatz gekommen und zu einer Verfolgungsjagd, in deren Verlauf Atschorek ihren Bruder Mattim angeschossen hatte. Hanna war es gelungen, ihn in einen Menschen zurückzuverwandeln, aber ihre Freude über die gelungene Rettung hatte immer auch einen Nachgeschmack gehabt. Was war mit den anderen passiert? Im Grunde hatte sie nicht damit gerechnet, dass Kunun Mirita am Leben gelassen haben könnte.
    » Er hat nie erfahren, welche Rolle ich dabei gespielt habe«, sagte Mirita und fasste Hanna am Arm. » Du dürftest gar nicht an diesem Ort sein. Komm rasch, ich bringe dich hier weg.«
    Sie schob Hanna in einen Seitengang, in dem Öllaternen eine Treppe beleuchteten, die steil hinunterführte. » Dort unten ist eine Pforte. Komm.«
    Hanna blieb stehen. Sie traute Mirita nicht, aber sie hatten eines geteilt: die Liebe zu Mattim. » Warte. Ich kann nicht einfach weg. Wo ist er? Weißt du etwas?«
    » Wen meinst du damit?« Mirita starrte sie an. » Er?«
    » Mattim. Er ist doch hier, oder nicht?«
    » Mattim?«, echote Mirita. » Das… das kann nicht sein, davon wüsste ich.«
    » Bring mich zu den Verliesen.«
    Hinter Miritas Stirn arbeitete es. » Kunun würde ihn in seiner Nähe haben wollen, um ihn davon zu überzeugen, dass er einlenkt und ihm dient. Wir sehen besser in den Gemächern des Königs nach.«
    Wie eine Fürstin spazierte sie durch die Gänge, nicht gerade um Heimlichkeit bemüht.
    » Warum gibt es nicht mehr Wachen?«, flüsterte Hanna.
    » In Kununs Schloss?«
    Das war Antwort genug. Niemand würde wagen, hier irgendetwas zu tun, das dem König von Magyria nicht passte. Erst recht wäre niemand so dumm, in seine privaten Räume einzubrechen. Hanna fragte sich, ob das auch ein Hinweis darauf war, dass Mattim nicht hier war, denn ihn würden sie sicher bewachen. Würde ein Mensch nicht jeden Schatten im näheren Umkreis verlocken?
    Nein, sagte sie sich selbst. Mattim war zwar ein Mensch, aber er stammte aus Akink, deshalb war sein Blut nicht die pulsierende Verlockung für die Schatten. Ein Biss würde ihn nur wieder in einen Wolf verwandeln.
    Gegen ihren Willen schöpfte sie Hoffnung, als Mirita vor einer Tür stehenblieb, deren raues Holz nicht auf einen besonderen Bewohner hinwies. Die kleine goldene Krone, die in Augenhöhe angeschlagen war, dagegen schon.
    Es war nicht abgeschlossen. Die Wächterin stieß die Tür auf, und Hanna blickte sich um. Falls die Einrichtung ein

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