Der Traum des Schattens
Plänen in die Quere gekommen, und das ist nun die Quittung dafür?«
Die Schatten scharrten unbehaglich mit den Füßen. Im nächsten Moment war es so still, dass man das Tappen der Wolfspfoten hörte, die über den Marmorboden schlichen.
» Lasst euch gesagt sein: Es geht euch nichts an, was ich aus welchen Gründen tue. Ich bin der König, und ich verlange Gehorsam. Heute erlasse ich eine neue Anweisung«, sagte Kunun. » Diese Frau hier, die sich verkleidet auf mein Fest geschlichen hat, ist vielen von euch bekannt.« Er nahm die Perücke von Hannas Kopf, deren dunkles Haar ihr sofort auf die Schultern fiel. » Viele von euch werden sich noch an ihre Rolle bei der Eroberung Akinks erinnern. Auch daran, dass sie an Mattims Seite auf der Brücke erschienen ist und die Verhandlungen geführt hat. Heute gebe ich eine neue Vergangenheit bekannt: Hanna war nie die Geliebte meines Bruders. Sie hat ihn nie gekannt, sie ist ihm nie begegnet. Sie hat schon immer zu mir gehört.«
Die Zuhörer nickten. Kunun war der König, er hatte die Macht, die Geschichte neu zu schreiben. Einzig Réka öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen, brachte jedoch keinen Laut heraus.
» Wenn irgendjemand etwas anderes behaupten sollte und so vermessen ist, es Hanna zu sagen, wird ihn die Härte des Gesetzes treffen.« Er wechselte einen Blick mit Atschorek, die sich wie ein Racheengel neben der gepeinigten, zerschmetterten Gestalt aufgebaut hatte.
Langsam goss sie das brennende Öl aus.
Réka hielt ganz still, während Piet schrie. Nie hätte sie gedacht, dass der freundliche, liebe, verliebte Piet solche Laute von sich geben könnte.
Danach strebten die Gäste zum Ausgang, nur einige Schatten blieben noch da und umringten die schwelenden Überreste wie Leute, die erwartungsvoll um einen Grill mit Bratwürstchen und Nackensteaks herumstehen. Die blonde Perücke kokelte vor sich hin und verbreitete einen unangenehmen Geruch.
» Das dauert alles zu lange«, befand Atschorek. » Werft ihn in den Fluss und lüftet den Saal.« Sie wandte sich an Réka und hatte sie mit wenigen Schritten eingeholt. Kameradschaftlich legte sie ihr den Arm um die Schultern. » Na, hat dir das Fest gefallen?«
Ich muss meine Mutter hier rausholen. Wenn man sie nicht schon entdeckt hat … Allein der Gedanke an Mónika verlieh Réka die Kraft, Atschoreks bohrendem Blick standzuhalten.
» Was soll das bedeuten, Hanna gehört zu Kunun? Sie wird um nichts in der Welt bei ihm bleiben.«
» Vor allem dir muss ich es wohl noch mal extra sagen.« Atschorek blieb stehen und legte Réka die Hände auf die Schultern. » Solche Sprüche will ich nicht hören. Von niemandem. Hanna ist schon lange mit ihm zusammen, das weißt du doch! Hat Kunun nicht soeben verkündet, dass die Vergangenheit sich verändert hat? Das gilt auch für dich. Du bist ihre Freundin, und als solche gönnst du Hanna ihr Glück, nicht wahr?«
» Welches Glück?«
Die Ohrfeige war so heftig, dass das Mädchen ein paar Schritte zurücktaumelte.
Die Schattenprinzessin runzelte die Stirn. » Wie lange soll dein Name dich noch schützen? Die Prophezeiung der Bettlerin ist erfüllt. Alles ist so eingetroffen, wie sie es vorhergesagt hat– zu meiner Überraschung, muss ich zugeben, denn im Gegensatz zu Kunun kümmere ich mich nicht um solchen Hokuspokus. Ich habe ihn ehrlich gesagt für verrückt gehalten, dass er sich von einer alten Vettel so beeinflussen lässt, von einer Fremden im Schnee! Aber jetzt ist Schluss damit. Szigethy-Blut für die Stadt … Das hatten wir schon. Kleiner Bruder bringt den Sieg. Auch das. Wir brauchen weder dich noch Mattim. Du kannst nicht hier herumlaufen und dich für eine heilige Kuh halten, die niemand schlachten darf.«
» Ich halte mich nicht für eine Kuh.« Réka hielt sich das schmerzende Gesicht. Warum bloß hatte sie Wilder nicht mitgenommen? Dafür hätte er dieses Biest von Schwester zerrissen. Er wenigstens war immer auf ihrer Seite.
Mit kühlen Fingern fasste Atschorek nach Rékas Kinn. » Was mache ich nur mit dir? Für Schatten aus deiner Welt gelten nicht ganz so strenge Regeln wie für die Einheimischen, aber du hast lange genug hier gelebt, um zu wissen, wie es läuft. Dein Name ist von Vorteil für dich. Auch wenn wir dich nicht mehr brauchen… Wir vergessen nicht, wer uns geholfen hat. Du warst überaus nützlich, um Mattim und Hanna in unsere Gewalt zu bringen. Das verdient eine gewisse Anerkennung. Aber das darf dich nicht dazu verleiten, uns
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