Der Traum des Schattens
und unsere Befehle nicht ernst zu nehmen. Du hast gesehen, was wir unter einem Feuerwerk zu Ehren des Königs verstehen. Ein falsches Wort, eine Andeutung…«
» Ich habe es kapiert«, flüsterte Réka, als ihr die erwartungsvolle Pause zu lang wurde.
» Du wirst also gehorsam sein?«
» Ja.«
» Du wirst dich an die Regeln halten wie jeder andere auch?«
» Ja.«
Atschorek überlegte. » Komisch eigentlich. Warum hast du dann deine Mutter zurück nach Budapest gebracht, obwohl sie die Beute eines anderen Schatten war?«
Wie konnte einem das Herz stehenbleiben, wenn man gar keins mehr hatte? » Was?«, krächzte Réka.
» Du willst deine Familie schützen«, sagte Atschorek. » Das kann ich sogar nachvollziehen. Wann siehst du endlich ein, dass es nur eine Möglichkeit gibt, um das zu erreichen? Wenn alle Schatten sind, kann ihnen niemand mehr wehtun.«
» Nein. Bitte nicht!«
» Deine liebe Mama könnte längst ein Schatten sein. Du hast es verhindert. Leider«, Atschorek blickte sich im Saal um, » sind die Wölfe schon alle weg. Aber wir holen das nach.«
Réka starrte sie entsetzt an.
» Deine Mutter oder jemand anders. Du wirst uns jemanden herbringen, den du gut kennst, damit wir einen Schatten aus ihm machen. Vielleicht eine deiner Freundinnen…?«
» Nein, bitte…«
» Wenn du es nicht tust, dann werden wir uns beide holen. Und bei jeder Ungehorsamkeit, die du dir künftig leistest, machen wir bei den Menschen in deiner Umgebung weiter. Eine zweite Freundin, dein Vater, dein Bruder.«
» Nein!«
» Oh doch.« Die Kälte in Atschoreks Augen war wie Eis. Die Dunkelheit des Weltraums. » Genau das werden wir tun. Wenn du das nächste Mal herkommst, bring einfach eine von ihnen mit. Dorina oder Valentina– welche, ist mir egal. Diesmal wirst du gehorchen, nicht wahr?« Sie wartete Rékas Antwort gar nicht ab. » Lass dir ja nicht einfallen, sie vor die Wahl zu stellen. Du wirst niemandem davon erzählen, was du hier gesehen hast. Absolut niemandem. Weder von heute Nacht noch davon, was du bist. Du bist ein Schatten– von heute an wirst du unsichtbar sein. Unauffällig, gehorsam, eine brave Tochter der Schatten. Wenn du nicht willst, dass jemand eine Beute für sich beansprucht, musst du schneller sein als er, so einfach ist das. Sie müssen Schatten sein oder deine Beute. Das ist doch nicht so schwer zu verstehen? Das war’s. Du kannst gehen.«
Réka stolperte davon, weg von Atschorek, fort aus diesem Saal. Sie erreichte den Ausgang, taumelte hindurch, fand, blind vor Tränen, kaum die Treppe. Schluchzend sank sie vor der Tür zusammen, hinter der ihre Mutter wartete. Hoffentlich! Wenn die Schatten geahnt hätten, dass sie hier war… Wenn Atschorek nicht davon ausgegangen wäre, dass sie Magyria längst verlassen hatte…
Sie wischte sich über das Gesicht, ehe sie mit zitternden Händen aufschloss. » Mama?«
Mónika saß auf dem kalten Boden. Auch sie hatte geweint. » Diese Bilder«, flüsterte sie. » Was sind das für Bilder?« Ihre Stimme schraubte sich höher. » Oh Gott, was sind das für Bilder?«
An der Wand hingen acht Porträts: die verlorenen Kinder der Familie des Lichts. Fünf junge Männer waren es und drei Mädchen, von denen Atschorek als Einzige noch lebte. Von den Söhnen waren mittlerweile zwei zu Schattenwölfen geworden, einen hatte König Farank getötet, und Kunun, der älteste, herrschte als grausamer Schattenkönig. Nur was aus Mattim geworden war, wusste Réka nicht. Dennoch zweifelte sie nicht daran, dass er verloren war, so wie die anderen. Das Mädchen wischte sich über das Gesicht. » Komm, Mama. Lass uns gehen.«
» Warum hängen sie dort?«, fragte ihre Mutter verstört. » Was haben sie miteinander zu tun?«
» Hast du Mattim erkannt, Hannas Freund? Er ist einer von ihnen, ein Prinz des Lichts. Auch Kunun war früher mal ein Prinz des Lichts.«
Einen kurzen Moment gestattete Réka sich, die Porträts zu betrachten. Sie logen alle, diese Bilder aus einer heilen Vergangenheit. Man hatte die Kinder des Lichts zu früh gemalt, jedes einzelne von ihnen. Viel zu früh, zu einem Zeitpunkt, an dem sie weder begriffen hatten, wer sie waren, noch was das Licht bedeutete, das durch ihre Adern floss.
Gewaltsam riss sie sich von den Gemälden los und führte ihre Mutter die Treppe hinunter, in die Dunkelheit einer Nische. Von dort war es nur noch ein Katzensprung bis zur nächsten Pforte. » Sie sind alle verloren, genau wie ich, weißt du? Außer Mattim,
Weitere Kostenlose Bücher