Der Traum des Schattens
Wirklichkeit, die Begegnung mit Magyria. Willst du ihr das tatsächlich vorenthalten? Berühre die Welt mit dem Wunder deiner Existenz, und sie wird zu deiner Welt.«
Hanna schämte sich für ihr Zögern. Es kam ihr immer noch schrecklich vor, jemanden zu beißen, aber Kunun hatte natürlich recht. Allzu lange zu warten machte alles viel schlimmer. Wenn sie jetzt noch länger zögerte, würde Valentina wieder erwachen, und das Ganze ging von vorne los. Da, sie regte sich schon.
» Tu es«, befahl Kunun, » jetzt!«
In seinen Augen lag ein Brennen, eine Leidenschaft, die sie nicht verstand. Noch nicht. Eines Tages, das wusste Hanna, würde sie alles verstehen.
Der König erwartete Mirita oben im Turm, den er gerne für private Gespräche nutzte. Vielleicht, weil hier oben das ganze Ausmaß der Dunkelheit sichtbar wurde– finstere Wälder, ein lichtloser Himmel, die Häuser schwarze Schatten.
» Mirita«, sagte er leise, und sie stellte sich vor, dass ein Ungeheuer dort im Dunkeln hockte, ein Monster mit einem entstellten Gesicht und Fangzähnen. » Ich war heute Abend mit Hanna drüben in Budapest. Seltsam, wie die Gegenwart einer schönen Frau eine ganze Stadt verändern kann. Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß. Es ist alles schrecklich aufregend für sie. Ich zeige ihr eine neue Welt.«
Mirita war nicht in der Stimmung, ihm zuzuhören. » Ihr habt Piet umgebracht.«
» Ah, ja. Genau darüber wollte ich mit dir reden.«
» Ihr habt mir versprochen, dass Ihr ihn verschont, wenn ich mitspiele. Und das habe ich! Wieso habt Ihr ihn trotzdem… Wie konntet Ihr das nur tun?«
» Er hat angefangen zu reden«, sagte Kunun kühl. » Darüber, dass du mir geholfen hast, Farank einzufangen. Es wäre besser gewesen, er hätte nichts davon gewusst. Wenn ich jemanden benutzen will, muss ich mich auf Geheimhaltung verlassen können.«
Sie nickte, obwohl der Schmerz immer noch in ihrer Brust tobte. Kunun hatte das Urteil begründet; das war mehr, als sie erwartet hatte.
» Du bekommst eine Entschädigung«, sprach er weiter. » Dafür, dass du deinen Liebsten verloren hast. Mein kleiner Bruder ist seit kurzem solo, auch wenn er es noch nicht weiß.«
Sie schnappte nach Luft, begann wieder zu atmen und merkte gleichzeitig, dass sie bis jetzt darauf verzichtet hatte. Gierig sog sie die Gerüche der Steinmauern ein und die des kühlen Windes, der durch die glaslosen Fensteröffnungen hereinwehte.
» Mattim?«, fragte sie. » Ihr meint…«
» Ein großes Glück, bezahlt mit hundert kleinen Schmerzmomenten, die man darüber gerne vergisst. Stell dir vor, du würdest ein Kind gebären und danach die Qualen vergessen. Genauso kannst du meinen Bruder in den Armen halten, sobald alles vorbei ist, und es braucht dich nicht zu belasten, was dafür nötig war.«
» Er hat bereits gewählt.« Ihr Protest klang schwach.
Kununs Fragen klangen wie Antworten. » Was, wenn er Hanna nie kennengelernt hätte? Wärst du dann nicht seine Wahl gewesen?«
» Ja«, sagte sie leise. » Ich glaube schon. Aber man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Er liebt sie und nicht mich.«
» Es geht dir also nicht nur um dein eigenes Glück? Das ist unsagbar nobel von dir, geradezu rührend. So herrlich, dass man weinen könnte. Ich sag dir mal was, meine Schöne.« Seine Stimme wurde tiefer und dunkler, leiser, und ihr war, als würde die Luft um ihn herum noch finsterer werden. » Die Liebe gehört nicht ins Licht. Sie gehört zu uns, in die Dunkelheit. Nichts ist so finster wie die Liebe, niemand ist so verdammt wie die Liebenden. Liebe ist das Feuer, das dich verbrennt, ein Tod, der in dir lebt. Nur ihre Erfüllung kann dieses Feuer löschen. Nimm ihn dir. Nimm, was du willst.«
» Das wäre keine Liebe«, wisperte Mirita.
» Du wirst für ihn da sein, während er leidet. Und das soll keine Liebe sein? Am Ende wirst du diejenige sein, die er will. Du wirst sein, was er braucht und wonach es ihn verlangt.«
» Aber…«
» Ich bin der König von Magyria, ich kann Wünsche wahr werden lassen. Ich kann Dinge tun, von denen du nicht zu träumen wagst. Gehorche mir, Mirita, und du wirst in der Nacht, die uns umgibt, Dinge entdecken, von denen du nichts geahnt hast. Alles ist möglich. Verweigere deine Mitarbeit, und ich werde leiden lassen, wen du liebst. Zum Glück bin ich ein großzügiger Herrscher und kann reich belohnen. Ist ein kleiner, dummer Prinz dir Belohnung genug? Du könntest ganz andere Dinge verlangen… doch wenn es
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