Der Traum des Schattens
schellte, und Mónika sprang sofort auf. » Das ist Attila. Er hat Freunde in der Nachbarschaft gefunden und ist kaum noch zu Hause.«
Kaum hatte sie die Tür geöffnet, stürmte der Junge in die Wohnung. Als er Mattim erblickte, fiel er fast hintenüber und stürzte sich dann mit einem markerschütternden Schrei auf ihn. » Mattim! Du bist ja immer noch da! Mama, er ist noch da!«
» Das ist mir auch schon aufgefallen«, sagte Mónika belustigt.
» Bleibst du hier?«, rief Attila. » Bei uns?«
» Du kannst gerne auf der Couch schlafen, sofern es dir nicht zu unbequem ist«, bot Mónika an.
» Wenn es keine Umstände macht?«
» Réka übernachtet nie auf der Couch«, erklärte der Junge. » Dafür ist sie zu vornehm. Sie hält sich für eine Prinzessin.«
Nachdenklich betrachtete Mattim den Jungen. Die geröteten Wangen, die Lebhaftigkeit seiner Bewegungen, diese unbändige Energie, die die kleine Wohnung beinahe sprengte. Auf einmal verstand er sehr gut, warum Réka auf keinen Fall hier wohnen konnte. Für einen Schatten war ein solches Kind eine unablässige Versuchung.
Die Couch eignete sich tatsächlich nicht besonders gut als Nachtlager, und Mattims Sorgen taten ein Übriges. Er schlief schlecht, und nur aus diesem Grund hörte er das Flüstern. Vorsichtig richtete er sich auf und erschrak– die Stimmen kamen aus Attilas Zimmer.
Mattim schlich zur Tür.
» Ja, er ist hier«, sagte Attila gerade.
Er spähte durch den Türspalt. Der Junge saß in seinem Bett, die Augen weit aufgerissen, schien jedoch zu schlafen.
» Attila?« Erleichtert trat Mattim näher. » Du träumst.«
» Er ist hier«, wiederholte das Kind. » Gestern hat er mich zur Schule gebracht, und er wird bei uns wohnen. Ja, ich glaube, es geht ihm gut. Aber er hat ein dickes Veilchen, oh Mann, es sieht aus, als hätte er einen Boxkampf hinter sich.«
Wem verriet Attila all das? Geschah es im Traum, ohne zu merken, was er da tat? Die Vampire wussten, wo er sich befand, ihnen war er erst beim Fest in zehn Tagen wieder ausgeliefert. Wer sonst interessierte sich dafür, wie es ihm ging? Freund oder Feind?
Vorsichtig setzte er sich auf die Bettkante. » Attila«, flüsterte er und griff nach der Hand des Jungen. » Attila, wach auf.«
Der Neunjährige schlug im ersten Moment nach ihm, dann klärte sich sein Blick. » Oh, Mattim. Muss ich schon zur Schule?«
» Was hast du gerade geträumt? Von wem?«
Attila gähnte und rieb sich die Augen. » Da war ein Mann.«
» Ein Fremder? Oder kanntest du ihn?«
» Nein, ich hab ihn noch nie gesehen.«
» Was wollte er von dir?« Mattim kämpfte seine Aufregung nieder. Als er noch ein Wolf gewesen war, war er zu Hanna in ihren Träumen gekommen. Sie hatte viel von Wölfen geträumt, seit sie ihn kannte. Aber ein Mann, der ein Kind ausfragte?
Attila blinzelte. » Er wollte nur wissen, ob du hier bist und ob du noch lebst. Er hat sich sogar dafür entschuldigt, dass er mich in meinem Traum besucht hat. In deine Träume kann er nicht gehen, weil Schatten nur richtige Menschen aus dieser Welt besuchen können.«
Mattim nickte. Ein Schatten also. Doch seit wann konnten Schatten in Träumen auftauchen? Oder hatten sie das schon immer beherrscht, nur hatte es niemand gewusst? Wer war dieser Mann, der nicht durch Mauern ging, sondern durch Träume? Kunun wohl kaum, ihn hätte Attila erkannt.
Auf einmal rückten wieder ein paar Puzzleteilchen an den richtigen Platz. Das war die Erklärung, warum er und Hanna nicht allein gegen Adrienn und die Schatten gekämpft hatten, warum sie Hilfe erhalten hatten. Die Erklärung dafür, wie Farank sie da draußen in den Feldern gefunden hatte.
» Ich glaube, ich weiß, wer es war. Einer, der viele Geschichten über Träume kennt, wenn er auch nicht gerne mag, dass sie weitererzählt werden.« Auch das war auf einmal ganz klar. Natürlich, der König des Lichts hatte seine Gründe gehabt, warum er seiner Frau Stillschweigen geboten hatte. Ein solches Geheimnis in den Händen der Schatten hätte ihnen eine unglaubliche Macht gegeben, einen Vorteil in diesem Kampf, der durch keine anderen Waffen ausgeglichen werden konnte. » Mein Vater.«
» Echt?«, fragte Attila überrascht. » Du hast einen Vater? Er sieht gar nicht aus wie du.«
Mattim musste schmunzeln. » Ich komme mehr nach meiner Mutter.«
Weil Farank nicht in die Träume von Menschen aus Magyria gehen konnte, hatte er in den vergangenen Monaten wahrscheinlich Hanna besucht. Sie hatte nie etwas davon
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