Der Traum des Schattens
Anhänger, Hanna, und ich könnte sie alle verwandeln lassen. Das wollen sie um jeden Preis vermeiden.«
» Wie denn, wenn sie keine Schatten über die Brücke lassen?«
» Fledermäuse.«
Irritiert musterte sie ihn. » Ich verstehe nicht ganz.«
» Fledermäuse können über die Schlucht fliegen und jeden beißen, den sie erwischen.«
» Was haben denn Fledermäuse mit all dem zu tun?«
» Nichts«, gab Kunun zu. » Aber es klingt recht glaubwürdig, findest du nicht? Nur weil ich so nett bin, haben die Fledermäuse sie bisher nicht belästigt.«
» Aber…«
» Die kleinen Biester sind harmlos? Wolltest du das einwenden? Wer weiß. Wir sind hier in Magyria, wer kann da schon sagen, was harmlos ist und was nicht? Oh, hier ist es schon. Diese steile Treppe. Zittern dir etwa immer noch die Knie? Du wirst dich daran gewöhnen, dass das Leben an meiner Seite mehr Aufregung beinhaltet als…«
» Als was?«
» Nichts«, sagte er leise.
Über dem Eingang hing eine gewaltige Traube aus glitzernden Kristallen. Wie von Zauberhand schwang sie zurück und gab den Weg in eine geräumige Tropfsteinhöhle frei. Der junge Mann, der ihnen entgegentrat, war höchstens zwanzig. Er war sehr schlank, fast hager, und in seinen braunen Augen brannte der Hass so lodernd, dass Hanna erschrak.
Mit beinahe übermenschlicher Anstrengung verschränkte er die Arme vor der Brust und verbeugte sich, wobei ihm der lange Zopf um die Ohren schwang. » Prinz Kunun, Hoheit. Ihr ehrt Jaschbiniad mit Eurem Besuch.«
» Nein, Fürst Mirontschek«, sagte Kunun, » nicht Prinz. In der Zwischenzeit haben sich ein paar Dinge geändert. Ich wurde gekrönt und habe den Thron von Akink bestiegen.«
Der junge Fürst, der kurz hochgeblickt hatte, senkte den Kopf, sichtlich darum bemüht, seine Gefühle im Zaum zu halten.
Kunun schwieg, er schien auf etwas zu warten.
» Mein König«, sagte Mirontschek schließlich gepresst und ließ sich schwerfällig auf die Knie sinken, als wäre er ein alter Mann mit Arthritis in den Gelenken. So verharrte er, während die Sekunden langsam verstrichen.
So lange, bis Kunun schließlich sagte: » Ihr dürft Euch erheben, Fürst. Und beruhigt Euch, ich bin nicht hier, um Euch zum Duell herauszufordern. Als König von Magyria werde ich womöglich von dieser Gewohnheit Abstand nehmen. Wir werden sehen.«
Der Fürst war immer noch blass, und um seine Mundwinkel zuckte es nervös.
» In der Tat bin ich aus einem erfreulichen Anlass hergekommen: Ich will Euch zu meinem Fest einladen, so wie es vor Jahrhunderten Sitte war. Die Krönung hat erst kürzlich stattgefunden, das ist schließlich ein guter Grund zum Feiern. Akink ist mittlerweile für seine Feste berühmt.« Er machte eine Pause, als wollte er dem Fürsten die Gelegenheit geben, sich zu bedanken, doch dieser schwieg. Vielleicht aus Trotz, vielleicht brachte er aber auch kein einziges Wort heraus. » Seid Ihr nicht gespannt, die Königsstadt zu sehen, die Perle am Fluss? Akink, den Diamanten in meiner Krone?«
» Ja, Herr.« Mirontscheks Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. » Danke, Eure Majestät.«
» Euch bleibt nicht viel Zeit«, sagte Kunun. » An Eurer Stelle würde ich gleich mit den Vorbereitungen beginnen.«
13
BUDAPEST, UNGARN
» Er war wieder da«, sagte Attila.
Sie saßen auf der Couch und waren in Comics vertieft. Mattim hatte Geschmack an den vielen bunten Bildern gefunden, und mittlerweile konnte er ziemlich gut lesen. Attila genoss es, wenn man ihm vorlas.
Schlagartig verlor Mattim das Interesse an der Geschichte. » Mein Vater? Im Traum?«
» Ich hatte ihn völlig vergessen, gerade eben ist es mir wieder eingefallen. Heute Nacht war er da.«
» Hast du ihn nach Hanna gefragt?«
» Sie ist nicht in Akink. Mehr wusste er nicht. Ich soll dir ausrichten, dass er Leute in der Stadt hat, aber die wissen auch nichts davon, wo Hanna steckt. Sie ist spurlos verschwunden.«
» Geht er nicht in ihre Träume?«
» Sie träumt nicht. Mehr konnte er mir nicht sa…«
Ein lautes Bollern an der Tür erschreckte den Jungen so sehr, dass er zusammenzuckte und dabei eine Seite aus dem Comicheft riss. » Was war das denn?«
Mónika näherte sich vorsichtig der Tür. » Wer ist da?«
» Mach auf!«, rief eine laute, herrische Stimme. » Ich weiß, dass du da bist!«
Weiß wie die Wand, brachte Mónika nur ein Flüstern heraus. » Das ist Ferenc.«
» Papa?«, rief Attila.
» Mach nicht auf«, sagte seine Mutter noch, aber da war der Junge
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