Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
Vom Netzwerk:
würde er zurückschlagen.
    » Wir schaffen das schon.« Sie seufzte. » Woher weiß er bloß, wo wir wohnen? Réka hat versprochen dichtzuhalten. Er muss sie eingeschüchtert haben. Oder bestochen. Die Frage ist, was soll ich tun? Wir haben uns hier gerade eingelebt. Sollen wir etwa schon wieder umziehen? Und was, wenn er uns dann auch findet?«
    » Sei doch nicht so traurig, Mama.« Attila klang sehr erwachsen, als er versuchte, seine Mutter zu trösten. » Das wird schon.«
    » Das nächste Mal bringt er vielleicht die Polizei mit. Er ist ein Mann mit Einfluss.«
    » Dann verstecke ich mich«, schlug der Junge vor. » Unter dem Bett. Oder wir schneiden ein Loch ins Sofa, ich klettere da rein, und ihr legt ein Kissen drüber. Ich könnte mit einem Röhrchen atmen, das ich durch den Stoff stecke.«
    » Vielleicht möchtest du ja auch gerne zu ihm«, meinte Mónika leise. » Vielleicht hast du Heimweh nach deinem Zimmer und nach Réka.«
    Attila riss die Augen auf, als hätte sie gerade etwas völlig Absurdes gesagt. » Réka könnte doch auch herkommen, zu uns.«
    Es klang vollkommen logisch.
    Bevor Mattim sich auf den Weg zu Atschorek machte, schärfte er Mónika noch ein, gut auf sich zu achten. Als ob sie Ratschläge von ihm gebraucht hätte!
    » Wenn ich zurückkomme, werde ich Attila ein paar Handgriffe beibringen«, sagte er. » Und dir am besten auch. Du solltest wenigstens die Grundlagen der Selbstverteidigung beherrschen.«
    » Ich habe nicht vor, mich mit Ferenc zu prügeln. Pass lieber auf dich auf– was immer du vorhast.«
    Seltsam, dass Mónika eine so viel bessere große Schwester war als Atschorek. Und leider so viel verletzlicher. Sie merkte sofort, wenn ein Abschied anstand. Offenbar war Mónika an Abschiede gewöhnt.
    » Du hast gesagt, du gehst zu einer Feier, aber dafür bist du nicht passend angezogen. Deinem Gesicht nach zu urteilen ist es eine Beerdigung.«
    » Ich weiß es nicht«, sagte er. » So wie ich den Gastgeber kenne, wird dieses Fest groß, dunkel und schmerzhaft sein– jedenfalls für mich.«
    » Du wirst dir jemanden zum Tanzen suchen«, sagte Kunun. » Er kann dir ruhig gefallen, umso besser. Es ist leicht, jemanden zu beißen, mit dem man eng tanzt. Wenn du nicht zu viel Blut nimmst, gibt es nur einen ganz kurzen Moment der Verwirrung, und dann tanzt ihr einfach weiter, oder du lässt dich von jemand anders auffordern. Alles völlig sauber und ohne Panik und Tränen.«
    Hanna musterte sich im Spiegel.
    » Jeder wird mit dir tanzen wollen«, versicherte er. » Sorge einfach nur dafür, dass hin und wieder ein echter Mensch darunter ist. Die Gäste aus der Felsenstadt sind hingerissen von dir. Du hast sie im Sturm erobert. Fürst Mirontschek würde vermutlich versuchen, dich zu entführen, wenn er nicht solche Angst vor mir hätte.«
    Die Delegation aus Jaschbiniad war ganze vier Tage später als die Schattenkutsche in Akink eingetroffen, müde und abgehetzt. Hanna glaubte nicht, dass sie viel tanzen würden.
    » Er wollte bloß höflich sein.«
    » Kennst du deinen eigenen Wert nicht?«
    Fast konnte sie ihm glauben. Die junge Frau im Spiegel war hübscher, als sie erwartet hatte. Lag es an der Frisur, bei der Atschorek sich alle Mühe gegeben hatte, kunstvoll hochgesteckt, mit einigen verspielten Strähnen, die ihre Wangen umschmeichelten? Oder doch eher an den betonten Augen und den sinnlichen Lippen?
    » Das Kleid ist ein echter Hingucker«, gab sie zu.
    » Irrtum, du bist ein Hingucker.« Er küsste sie zwischen die Schulterblätter. » Rot steht dir ausgezeichnet. Du bist einfach traumhaft schön.«
    Sie hatte sich immer unwohl gefühlt, wenn Réka sie in andere Kleider gesteckt und geschminkt hatte. Diesmal war es anders. Nicht nur das edle Kleid saß wie angegossen– es war, als hätte sie ein ganz neues Selbstbewusstsein angezogen. Atschorek verstand ihr Handwerk, aber das war es nicht allein. Keine ängstlich flatternden Nerven verdarben Hanna den Auftritt. Sie sah aus wie eine erwachsene Frau, eine wunderschöne erwachsene Frau. Kein Mädchen, das sich in Jeans und Schlabberpullis versteckte, um bloß nicht aufzufallen. Die neue Hanna hatte das nicht nötig, denn sie glänzte an der Seite des Königs. Sie würde die Blicke aller auf sich ziehen und trotzdem nicht vor Verlegenheit umfallen. Das war das Gute daran, wenn man tot war– oder sich in diesem seltsamen Zustand befand, der den Schatten eigen war: Alle ihre Ängste, nicht gut genug zu sein, waren davongeflogen.

Weitere Kostenlose Bücher