Der Traum des Schattens
oder Tage… Müsstest nicht gerade du froh darüber sein? Alles, was du willst und was du brauchst, ist drüben in der anderen Welt. Magyria ist die Finsternis, die deine Seele verschlingt. Magyria ist der Wahnsinn, der dich von einer aussichtslosen Schlacht in die nächste treibt. Die Zeit der Märchen ist vorbei, Bruderherz. Lass mich einmal im Leben etwas Gutes tun. Wir entfernen dieses wuchernde Krebsgewächs aus dem Universum.«
» Nein«, widersprach Mattim. Die Zunge klebte ihm am Gaumen, er war wie erstarrt vor Entsetzen. Kunun musste sich irren. Das hier konnte nicht das Ende bedeuten. Nicht von ganz Magyria! Aber Kunun irrte sich selten. » Nein. Nein!«
» Die Sache wird nicht besser, wenn du dich wiederholst.«
» Nein!«, rief er noch einmal. » Das lasse ich nicht zu. Wir müssen das Licht wiederbringen, bevor es zu spät ist. Das Licht kann alles heilen, was bereits zerstört ist.«
» Magyria ist gefährlich, das weißt du. Menschen werden zu Schatten oder Wölfen. Aus hoffnungsvollen jungen Prinzen werden solche Gestalten wie du und ich, Feinde, die nicht aufhören können zu kämpfen. Lass uns die Zeit genießen, die uns noch bleibt, kleiner Bruder. Wer soll den Tod hereinbitten, wenn nicht wir? Wir werden ihm einen grandiosen Empfang bereiten. Der Wahnsinn lächelt in die Runde. Und was am Schluss übrigbleibt, ist hell und klar und leer.«
» Nein«, beharrte Mattim. » Nein und nochmals nein.«
» Du kannst nichts dagegen machen«, sagte Kunun. » Einmal wenigstens will ich erleben, dass du Stolz und Würde besitzt.«
Mattim wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, und als er sie wieder öffnete, war sein Bruder bereits verschwunden.
» Mattim«, flüsterte es im Gestrüpp. » Mattim…«
Er wandte sich um. » Wer ist da?«, fragte er scharf.
» Stolz und Würde.« Der ehemalige König von Magyria lachte leise, während er sich aus seinem Versteck herausarbeitete. » Als ob es darauf ankäme.«
» Vater!« Mattim bog einen Ast zur Seite und half seinem Vater heraus. » Stolz und Würde, in der Tat. Über diesen Punkt sind wir weit hinaus, mein Sohn. Ich bin vor ihm davongerannt, weil ich ihn nicht besiegen konnte. Und du? Was wirst du tun?«
» Er hat Hannas Gedächtnis ausgelöscht, und nun ist er dabei, Magyria zu vernichten! Es ist viel schlimmer, als ich dachte. Dabei soll ich gelassen zusehen? Nicht mit mir.«
» Meine Getreuen und ich können leider nicht viel ausrichten«, sagte Farank. » Hin und wieder retten wir einen Menschen vor ihm und seinen Jägern. Jede weitere Pforte schmiedet unsere Welt enger an die andere, kettet sie aneinander, bis sie am Ende beide in den Abgrund trudeln.«
» Wir brauchen eine Armee«, sagte Mattim. » Wie viele Rebellen hast du hier im Wald?«
» Nicht genug. An die zweihundert.«
Das war mehr, als Mattim erwartet hatte, doch sein Vater hatte recht. Mit zweihundert Schatten konnten sie Akink nicht zurückerobern.
» Die meisten von ihnen sind ehemalige Flusshüter, ein Teil von ihnen war Brückenwächter. Diese Leute wissen, wogegen sie kämpfen, sie haben Zeit ihres Lebens nie etwas anderes getan. Sie wissen, dass der Kampf noch nicht vorbei ist.« Farank schauderte. » Wenn Schatten gegen Schatten kämpfen, was wird das für ein Gemetzel? Aber wir haben keine Wahl. Das ist deine Armee, mein Sohn. Eine Handvoll Krieger gegen eine ganze Stadt. Was wirst du tun, Mattim?«
Sein Vater bot ihm nicht an, der kleinen Rebellenarmee beizutreten, er übergab ihm das Kommando.
» Warum ich?«, fragte er leise. » Du bist der König von Magyria.«
» Ich habe damals nicht weit genug gedacht, und daran sind wir gescheitert. Du dagegen hast die Schatten von Anfang an durchschaut. Ich habe dich für töricht gehalten, für leichtsinnig, doch du hattest mit allem recht. Du hast erkannt, wer sie waren, was sie vermochten. Du hast Akink schon einmal erobert, du kannst es ein zweites Mal tun.«
» Jetzt bist du selbst ein Schatten, Vater.«
» Ich habe mich vor Kunun gebeugt, Mattim. Ganz Akink hat es gesehen. Selbst wenn ich meinen Thron zurückerobern könnte, wäre mein Ansehen irreparabel beschädigt.«
» Ich habe mich auch vor ihm gebeugt.«
» Das ist etwas anderes. Du hast ihn getäuscht. Du hast für ihn gekämpft und gegen ihn, du hast immer das getan, was nötig war. Du bist auf eine Weise frei, wie ich es nie sein könnte. Dies ist dein Kampf, Mattim. Alle wissen es, glaub mir. Jeder Flusshüter, der hier auf meiner Seite steht,
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