Der Traum des Wolfs
nicht darum. Ein paar waren bereits am Galgen gelandet. Wer hätte das jemals gedacht? Männer, die man hängte, weil sie Holz stahlen? Was kam als Nächstes? Männer, die man hängte, weil sie Erde stahlen?
Niedercaemlyn hatte sich dramatisch verändert, Straßen wurden angelegt, Gebäude vergrößert. Noch ein paar Jahre, und Niedercaemlyn würde eine richtige Stadt sein! Man würde noch eine Stadtmauer bauen müssen, um es abzuriegeln.
Der Raum roch nach Dreck und Schweiß, aber auch nicht mehr als in anderen Schenken. Verschüttete Getränke wischte man schnell auf, und die Schankmägde schienen froh zu sein, Arbeit zu haben. Vor allem eine schenkte ihm ein zurückhaltendes Lächeln, füllte seinen Becher auf und zeigte etwas Bein. Mat prägte sie sich ein; sie würde Talmanes gefallen.
Mat hob das Halstuch genug, um trinken zu können. Es auf diese Weise zu tragen ließ ihn sich wie ein Narr fühlen. Aber für eine Umhangkapuze war es viel zu heiß, und der Bart war die reine Folter gewesen. Selbst mit dem Tuch vor dem Gesicht fiel er in Niedercaemlyn nicht besonders auf; er war bei Weitem nicht der einzige Schläger, der mit verhülltem Gesicht umherlief. Er hatte erklärt, eine hässliche Narbe verdecken zu wollen; andere nahmen einfach an, dass ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt war. Leider stimmte beides.
Er saß eine Weile da und starrte in die Flammen. Chets Warnung hatte einen unerfreulichen Abgrund in seiner Magengrube geöffnet. Je mehr sein Ruf wuchs, desto größer wurde die Wahrscheinlichkeit, dass ihn irgendjemand herausforderte. Den Prinz der Raben zu töten würde einen ausgesprochen berüchtigt machen. Wo hatte er bloß diesen Namen herbekommen? Verdammte Asche!
Eine Gestalt gesellte sich zu ihm ans Feuer. Hager und knochig sah Noal wie eine Vogelscheuche aus, die sich abgestaubt hatte, um der Stadt einen Besuch abzustatten. Trotz seines weißen Haares und dem ledrigen Gesicht war Noal so agil wie ein halb so alter Mann. Zumindest, wenn er mit einer Waffe umging. Bei anderen Gelegenheiten erschien er so unbeholfen wie ein Maultier in einem Esszimmer.
»Ihr seid wirklich ein bemerkenswerter Mann«, sagte Noal und streckte die Handflächen dem Feuer entgegen. »Als ich Euch zufällig in Ebou Dar über den Weg lief, hatte ich ja keine Ahnung, in welch glanzvoller Gesellschaft ich mich befinde. Noch ein paar Monate, und Ihr seid berühmter als Jain Fernstreicher. «
Mat ließ sich noch tiefer in den Stuhl sacken.
»Männer glauben immer, es wäre so toll, in jeder Schenke und jeder Stadt bekannt zu sein«, sagte Noal leise. »Aber ich will verflucht sein, wenn es nicht einfach nur lästig ist.«
»Was wisst Ihr schon davon?«
»Jain hat sich darüber beschwert«, sagte Noal leise.
Mat grunzte. Thom traf als Nächster ein. Er war wie der Diener eines Kaufmanns gekleidet; seine blaue Ausstattung war nicht zu kostbar, aber auch nicht zu schäbig. Er gab vor, nach Niedercaemlyn gekommen zu sein, um herauszufinden, ob sein Herr gut darin beraten war, hier ein Geschäft zu eröffnen.
Thom trug die Verkleidung äußerst glaubhaft. Er hatte den Schnurrbart zu Spitzen gewachst und sprach mit einem leichten murandianischen Akzent. Mat hatte ihm angeboten, eine Hintergrundgeschichte für seine Vorstellung zu erfinden, aber Thom hatte nur gehustet und behauptet, sie bereits im Kopf zu haben. Verfluchter Lügner von einem Gaukler.
Thom zog einen Stuhl heran und setzte sich geziert, als wäre er ein eingebildeter Diener. »Ah, was für eine Zeitverschwendung! Mein Herr besteht darauf, dass ich mich mit solchem Abschaum befasse! Und hier finde ich die schlimmsten von dem ganzen Haufen!«
Noal kicherte leise.
»Hätte man mich doch stattdessen nur in das Lager des majestätischen, erstaunlichen, unzerstörbaren, berühmten Matrim Cauthon geschickt!«, verkündete Thom dramatisch. »Dann hätte ich bestimmt…«
»Soll man mich doch zu Asche verbrennen, Thom«, fiel ihm Mat ins Wort. »Lass einen Mann in Frieden leiden.«
Thom lachte, winkte die Schankmagd herbei und bestellte eine Runde für sie drei. Er gab ihr eine zusätzliche Münze und bat sie leise darum, andere Zecher unauffällig vom Kamin fernzuhalten.
»Seid Ihr sicher, Euch hier treffen zu wollen?«, fragte Noal.
»Das geht schon in Ordnung«, versicherte Mat. Er wollte sich nicht im Lager sehen lassen, damit der Gholam nicht dort nach ihm suchte.
»Also gut«, meinte Noal. »Wir wissen, wo der Turm steht, und können ihn erreichen,
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