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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Fünfzehn Monate nach dem Tode des Ehemanns hatte sie eine Tochter bekommen, ohne recht zu wissen, von wem sie sie eigentlich hatte, denn sie war herzlos wie eine Rechnung, kalt wie ein Wechselprotest, gleichgültig und brutal wie ein Gerichtsvollzieher. Einen Fehltritt verzeiht man, aber so eine Undankbarkeit! Hatte nicht sie, Frau Foucart, nachdem der Laden durchgebracht war, sie während ihres Wochenbettes ernährt, hatte sie sich nicht so weit aufgeopfert, daß sie ihr das Kind vom Halse schaffte, indem sie die Kleine zur Fürsorge brachte? Und zum Lohn war es ihr, als sie ihrerseits in Verlegenheit geraten, nicht einmal gelungen, das Kostgeld für einen Monat zurückzukriegen, ja nicht einmal fünfzehn Francs, die sie ihr ohne Quittung geliehen hatte. Heute hatte Madame Sidonie in der Rue du FaubourgPoissonnière einen kleinen Laden und drei Zimmer im Zwischenstock inne, wo sie unter dem Vorwand, Spitzen zu verkaufen, alles mögliche verkaufte. Ach ja, ach ja, eine Mutter von der Sorte sollte man besser gar nicht erst kennen!
    Eine Stunde später schlich Hubert um Frau Sidonies Laden herum. Er erblickte dort flüchtig eine magere, bleiche Frau ohne Alter und ohne Geschlecht, angetan mit einem abgetragenen schwarzen Kleid, das Spuren von allen Arten verdächtiger Gewerbe aufwies. Die Erinnerung an ihre durch einen Zufall geborene Tochter hatte wohl niemals dieses Trödlerinnenherz erwärmt. Heimlich zog er Erkundigungen ein, erfuhr Dinge, die er niemandem wiedererzählte, nicht einmal seiner Frau. Doch zögerte er noch, ging er ein letztes Mal an dem geheimnisvollen schmalen Laden vorbei. Sollte er sich nicht zu erkennen geben, eine Einwilligung zu erreichen suchen? Ihm als ehrenhaftem Manne oblag es, zu entscheiden, ob er das Recht hatte, so das Band für immer zu durchtrennen. Jäh drehte er dem Laden den Rücken zu und kehrte am Abend nach Beaumont zurück.
    Hubertine hatte soeben bei Herrn Grandsire erfahren, daß das Protokoll für die amtliche Vormundschaft unterzeichnet war. Und als Angélique sich Hubert in die Arme warf, sah er wohl an der flehenden Frage in ihren Augen, daß sie begriffen hatte, was der wahre Grund seiner Reise gewesen. Da sagte er zu ihr lediglich:
    »Mein Kind, deine Mutter ist tot.«
    Weinend umarmte Angélique beide voller Leidenschaft. Niemals wieder wurde darüber gesprochen. Sie war ihre Tochter.
     

Kapitel III
    In jenem Jahr hatten die Huberts Angélique am Pfingstmontag zum Mittagessen zu den Ruinen der Burg Hautecœur mitgenommen, die zehn Meilen stromabwärts von Beaumont den Ligneul beherrscht; und am Morgen nach diesem ganzen mit Laufen und Lachen an der frischen Luft verbrachten Tag schlief das junge Mädchen noch, als die alte Standuhr der Werkstatt sieben schlug.
    Hubertine mußte hinaufgehen und an die Tür klopfen.
    »Na, du Faulenzerin! – Wir haben schon gefrühstückt.«
    Schnell zog sich Angélique an, ging hinunter, um allein zu frühstücken. Als sie dann in die Werkstatt kam, wo sich Hubert und seine Frau soeben an die Arbeit gemacht hatten, sagte sie:
    »Ach, hab ich geschlafen! Und dieses Meßgewand, das wir für Sonntag zugesagt haben!«
    Die Werkstatt, deren Fenster auf den Garten hinausgingen, war ein weitläufiger Raum, der in seinem ursprünglichen Zustand fast unberührt erhalten geblieben war. Die beiden Hauptbalken und die drei hervortretenden Querbalken an der Decke hatten nicht einmal Putz abbekommen, waren stark angeräuchert, wurmstichig und ließen unter dem abgeplatzten Gips die Latten in den Zwischenräumen sehen. Einer der Kragsteine, die die Hauptbalken stützten, trug eine Jahreszahl, 1463, zweifellos das Baujahr. Der gleichfalls aus Stein bestehende, abgebröckelte und rissige Kamin bewahrte seine schlichte Vornehmheit mit seinen schlanken Pfosten, seinen Konsolen, seinem durch eine Bekrönung abgeschlossenen Rauchfang; auf dem Fries konnte man sogar noch, gleichsam zerlaufen vor Alter, eine kindliche Skulptur erkennen, einen Sankt Clarus63, Schutzpatron der Sticker. Doch der Kamin wurde nicht mehr benutzt, aus dem Feuerloch hatte man durch Anbringen von Brettern einen offenen Schrank gemacht, in dem sich Zeichnungen häuften; und jetzt wurde das Zimmer mit einem Ofen geheizt, mit einer großen gußeisernen Glocke, deren Rohr an der Decke entlanglief und in den Rauchfang mündete. Die schon wackeligen Türen stammten aus der Zeit Ludwigs XIV. Platten des alten Parketts verfaulten vollends zwischen neueren Brettchen, die eins nach dem

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