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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Boden des Korbes ruhte und eine letzte Handvoll Rosenblätter umschloß, machte eine allzu rasche Bewegung, streute die Blüten aus in ihrer entzückten Verwirrung. Gerade da setzte Félicien sich wieder in Bewegung. Die Blumen regneten, zwei Blütenblätter segelten langsam herab, legten sich auf sein Haar.
    Es war der Schluß. Der Baldachin war um die Ecke der Grand˜Rue verschwunden, das Ende des Zuges verlief sich und ließ die gepflasterte Straße menschenleer und andächtig zurück, gleichsam eingeschläfert von verträumtem Glauben in der ein wenig herben Ausdünstung der zertretenen Rosen. Und man hörte noch in der Ferne immer schwächer das silberhelle Klirren der Kettchen, die bei jedem Schwingen der Weihrauchfässer zurückfielen.
    »Oh! Willst du, Mutter?« rief Angélique aus. »Wir gehen in die Kirche, um zu sehen, wie sie wieder einziehen.«
    Hubertine wollte erst ablehnen. Dann empfand sie selber ein so großes Verlangen, sich Gewißheit zu verschaffen, daß sie zustimmte.
    »Ja, nachher, da es dir nun mal Freude macht.«
    Doch man mußte sich noch gedulden. Angélique, die sich oben in ihrem Zimmer einen Hut aufgesetzt hatte, hielt es nicht mehr an ihrem Platz. Sie kehrte jede Minute ans Fenster zurück, spähte fragend nach dem Ende der Straße, blickte hoch, wie um den Himmel selber zu befragen; und sie sprach ganz laut, sie verfolgte die Prozession Schritt für Schritt.
    »Jetzt gehen sie die Rue Basse hinunter ... Ach! Jetzt müssen sie auf dem Platz vor der Unterpräfektur herauskommen! – Die nehmen gar kein Ende mehr, die langen Straßen von BeaumontlaVille. Was diese Leinwandhändler da schon für Freude daran haben, die heilige Agnes zu sehen!«
    Eine zarte rosa Wolke, fein aus einem goldenen Gitterwerk geschnitten, schwebte am Himmel. Es war an der Reglosigkeit der Luft zu spüren, daß das ganze weltliche Leben unterbrochen war, daß Gott sein Haus verlassen hatte, und jeder wartete, daß man ihn dorthin zurückbrächte, damit man die täglichen Beschäftigungen wieder aufnehmen konnte. Auf der anderen Straßenseite versperrten die in Falten geordneten blauen Tuchbahnen des Goldschmieds, die roten Vorhänge des Wachshändlers immer noch ihre Läden. Die Straßen schienen zu schlafen, nur die Prozession zog langsam von einer zur anderen, und man konnte ahnen, an welchen Punkten der Stadt sie sich gerade befand.
    »Mutter, Mutter, ich versichere dir, jetzt sind sie am Eingang der Rue Magloire. Sie werden gleich den Hang heraufkommen.«
    Sie schwindelte, es war erst halb sieben, und niemals kehrte die Prozession vor Viertel acht zurück. Sie wußte recht gut, daß der Baldachin in diesem Augenblick am unteren Hafen des Ligneul entlanggehen mußte. Aber sie konnte es nun mal kaum erwarten!
    »Mutter, beeilen wir uns, wir werden keinen Platz mehr bekommen.«
    »Na gut, komm!« sagte Hubertine schließlich und lächelte unwillkürlich.
    »Ich bleibe hier«, erklärte Hubert. »Ich werde die Stickereien abnehmen und den Tisch decken.«
    Die Kirche erschien ihnen leer, da Gott nicht mehr da war. Alle ihre Türen standen offen, wie die eines Hauses, aus dem alles geflohen und das nun auf die Rückkehr seines Herrn wartet. Wenige Leute kamen herein, allein der Hauptaltar, ein strenger Sarkophag in romanischem Stil, funkelte im Hintergrund des Kirchenschiffes, mit Kerzen besternt, und das übrige des weiten Raumes, die Seitenschiffe, die Kapellen füllten sich bei Einbruch der Abenddämmerung mit Dunkel.
    Langsam wandelten Angélique und Hubertine umher. Unten duckte sich das Bauwerk zusammen, stämmige Pfeiler trugen die Rundbögen der Seitenschiffe. Die beiden gingen an dunklen Kapellen entlang, die wie Krypten vergraben waren. Als sie dann beim Hauptportal unter der Orgelempore hindurchgingen, fühlten sie sich befreit, als sie zu den hohen gotischen Fenstern des Kirchenschiffes aufblickten, die sich über dem schweren romanischen Unterbau in die Höhe schwangen. Aber sie gingen durch das südliche Seitenschiff weiter, von neuem befiel sie Beklemmung. An der Vierung stand in jeder der vier Ecken eine ungeheure Säule und schoß geradezu in die Höhe, um die Kuppel zu stützen; und dort herrschte noch eine malvenfarbene Helle, der Abschiedsgruß des Tages in den Fensterrosen der Seitenfassaden. Sie hatten die drei Stufen erstiegen, die zum Chor führten, sie gingen durch den Umgang der Apsis, den am frühesten gebauten Teil, der in die Erde hineingegraben zu sein schien wie eine Gruft. Einen

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