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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Rauchfässern dampfte der Weihrauch, und jäh trat die tiefe Stille des Gebetes ein. Und mitten in der im Lichterglanz erstrahlenden, von Geistlichkeit und Volk überquellenden Kirche stieg der Bischof unter den hochgeschwungenen Gewölben wieder zum Altar hinauf, nahm wieder mit beiden Händen die große goldene Monstranz, mit der er dreimal langsam das Zeichen des Kreuzes in der Luft beschrieb.
     

Kapitel IX
    Als Angélique am selben Abend aus der Kirche heimkehrte, dachte sie: Ich werde ihn nachher sehen: er wird im ClosMarie sein, ich werde zu ihm hinuntergehen.
    Sie hatten sich mit den Blicken zu diesem Stelldichein verabredet.
    Man aß erst um acht Uhr wie gewöhnlich in der Küche zu Abend. Nur Hubert redete, angeregt durch diesen Festtag. Hubertine, die ernst war, antwortete kaum und ließ das junge Mädchen nicht aus den Augen, das mit großem Appetit aß, aber die Gedanken ganz woanders hatte und gar nicht zu wissen schien, daß es die Gabel zum Munde führte, ganz in ihren Traum versunken. Und Hubertine las deutlich in Angélique, sah hinter dieser arglosen Stirn wie unter dem Kristall eines klaren Wassers die Gedanken sich bilden und einander folgen.
    Um neun Uhr klingelte es zu aller Erstaunen. Es war Abbé Cornille. Trotz seiner Müdigkeit kam er, um ihnen zu sagen, daß der Bischof die drei alten gestickten Stoffbahnen sehr bewundert habe.
    »Ja, er hat in meiner Gegenwart davon gesprochen. Ich wußte, daß Sie sich freuen würden, es zu erfahren.«
    Angélique, die Interesse gezeigt hatte, als der Bischof erwähnt wurde, verfiel wieder in ihre Träumerei, sowie man über die Prozession sprach. Nach einigen Minuten stand sie dann auf.
    »Wohin gehst du denn?« fragte Hubertine.
    Diese Frage überraschte sie, als sei sie sich selber nicht im klaren darüber, weshalb sie aufstand.
    »Mutter, ich gehe nach oben, ich bin sehr müde.«
    Und hinter dieser Entschuldigung erriet Hubertine den wahren Grund, das Bedürfnis, allein zu sein mit ihrem Glück.
    »Komm, gib mir einen Kuß.«
    Als sie Angélique in ihre Arme nahm und an sich drückte, fühlte sie, wie diese zitterte. Ihr Gutenachtkuß war nur flüchtig hingehaucht. Da schaute Hubertine ihr sehr ernst ins Gesicht, las in ihren Augen von dem Stelldichein, von der fieberhaften Ungeduld, hinzugehen.
    »Sei vernünftig, schlaf gut.«
    Doch schon ging Angélique nach einem raschen »Gute Nacht« zu Hubert und zu Abbé Cornille bestürzt in ihr Zimmer hinauf, so deutlich hatte sie gefühlt, wie das Geheimnis ihr schon auf den Lippen schwebte. Hätte ihre Mutter sie noch eine Sekunde länger an ihr Herz gedrückt, dann hätte sie alles gesagt. Als sie die Tür hinter sich geschlossen und den Schlüssel zweimal herumgedreht hatte, war ihr das Licht lästig, sie blies ihre Kerze aus. Der Mond ging erst später auf, die Nacht war sehr dunkel. Und sie zog sich nicht aus, sie saß vor dem zur Finsternis hin geöffneten Fenster und wartete stundenlang. Die Minuten flossen dahin, ein und derselbe Gedanke genügte, sie zu beschäftigen: sie würde zu ihm hinuntergehen, wenn es Mitternacht schlug. Das würde ganz selbstverständlich sein, sie sah, was sie tun würde, sah sich einen Schritt nach dem anderen, eine Bewegung nach der anderen tun, mit jener Leichtigkeit, die einem in Träumen eigen ist. Eben hatte sie Abbé Cornille fortgehen hören. Danach waren auch die Huberts hinaufgegangen. Zweimal war es ihr, als öffnete sich deren Schlafzimmertür, als gingen Füße verstohlen bis zur Treppe, als wäre jemand gekommen, um einen Augenblick dort zu lauschen. Dann schien das Haus in tiefen Schlaf zu sinken.
    Als es Mitternacht geschlagen hatte, erhob sich Angélique.
    »Ich muß gehen, er erwartet mich.«
    Und sie öffnete ihre Tür, die sie hinter sich nicht einmal wieder schloß. Als sie auf der Treppe am Schlafzimmer der Eltern vorbeikam., lauschte sie aufmerksam; doch sie hörte nichts, nichts als den Schauer der Stille. Im übrigen war sie ganz unbeschwert, nicht verstört, nicht hastig, war sich nicht im geringsten bewußt, etwas Falsches zu tun. Eine Kraft führte sie, es erschien ihr alles so einfach, daß der Gedanke an eine Gefahr sie zum Lächeln gebracht hätte. Unten ging sie durch die Küche in den Garten hinaus, und sie vergaß abermals, den Türladen wieder zu schließen. Mit ihrem raschen Gang erreichte sie dann die kleine Pforte, die zum ClosMarie hinausführte, und ließ sie ebenfalls hinter sich ganz weit offen. Im Clos Marie zögerte sie trotz

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