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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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ein ganzer Aufschwung von Glaube und Liebe, der wie das Strahlen des Lichtes selber war.
    Aber beim Scharren der Füße und beim Rücken der Stühle hörte man von neuem die hellen Kettchen der Rauchfässer herunterfallen. Und die Orgel erbrauste sogleich in einem mächtigen Klanggebilde, das überströmte, die Gewölbe mit Donnergrollen erfüllte. Der Bischof war noch draußen auf dem Platz. Immer noch von den Geistlichen getragen, erreichte die heilige Agnes in diesem Augenblick die Apsis, ihr Antlitz war gleichsam beruhigt im Kerzenschimmer, sie schien glücklich, zu ihren vier Jahrhunderte alten Träumen zurückzukehren. Endlich hielt der Bischof wieder seinen Einzug, der Stab wurde ihm voraus und die Mitra hinterhergetragen, und mit noch immer derselben Gebärde hielt er das Allerheiligste mit seinen beiden von der Stola umhüllten Händen. Der Baldachin, der in der Mitte des Kirchenschiffes dahinzog, hielt vor dem Gitter des Chores an. Dort entstand einige Verwirrung, so daß der Bischof einen Augenblick näher mit den Personen seines Gefolges zusammen stand.
    Seit Félicien hinter der Mitra wieder aufgetaucht war, ließ ihn Angélique nicht mehr aus den Augen. Nun aber geschah es, daß er auf die rechte Seite des Baldachins gedrängt wurde; und da sah sie mit einem Blick das weiße Haupt des Bischofs und das blonde Haupt des jungen Mannes. Ein Aufflammen war über ihre Lider geglitten, sie faltete die Hände, sie sprach ganz laut:
    »Oh, der Bischof, der Sohn des Bischofs!«
    Ihr Geheimnis entschlüpfte ihr. Es war ein unwillkürlicher Ausruf, endlich die Gewißheit, die durch das jähe Deutlichwerden dieser Ähnlichkeit zutage trat. Vielleicht wußte sie es in ihrer Seele schon längst, doch sie hätte nicht gewagt, es sich zu sagen, während es jetzt hervorbrach, sie blendete. Von allen Seiten, aus ihr selber und aus den Dingen, stiegen Erinnerungen auf, wiederholten ihren Ruf.
    Hubertine murmelte ergriffen:
    »Der Sohn des Bischofs, dieser junge Mann?«
    Rings um sie beide hatten die Leute sich angestoßen. Man kannte sie, man bewunderte sie, die Mutter, die in ihrem Kleid aus einfacher Leinwand noch immer wunderbar aussah, die engelhaft anmutige Tochter in ihrem Kleid aus weißer Foulardseide. Sie waren so schön und so weithin sichtbar, wie sie da auf den Stühlen standen, daß Blicke sich zu ihnen emporhoben und selbstvergessen auf ihnen ruhten.
    »Aber ja, meine gute Dame«, sagte Mutter Lemballeuse, die in dieser Gruppe stand, »aber ja, der Sohn des Bischofs! Wie, das wußten Sie nicht? – Und ein schöner junger Mann, und reich, ach, so reich, daß er die ganze Stadt kaufen könnte, wenn er wollte. Millionen und aber Millionen!«
    Ganz blaß hörte Hubertine zu.
    »Sie haben doch sicher die Geschichte gehört?« fuhr die alte Bettlerin fort. »Seine Mutter ist gestorben, als sie ihn zur Welt brachte, und da ist der Bischof Priester geworden. Jetzt hat er sich entschlossen, den Sohn zu sich zu nehmen ... Félicien VII. d˜Hautecœur, sozusagen ein richtiger Prinz!«
    Da machte Hubertine eine kummervolle Gebärde.
    Und Angélique strahlte angesichts ihres Traumes, der Wirklichkeit wurde. Sie wunderte sich noch immer nicht, sie wußte ja, daß er der Reichste, der Schönste, der Edelste sein mußte; doch ihre Freude war unendlich, vollkommen, unbekümmert um die Hindernisse, die sie überhaupt nicht voraussah. Endlich gab er sich zu erkennen, gab auch er sich preis. Das Gold rieselte mit den Flämmchen der Kerzen, die Orgel sang vom Gepränge ihrer Verlobung, das Geschlecht der Hautecœurs zog aus der Tiefe der Sage majestätisch vorüber: Nobert I., Johann V., Félicien III., Johann XII.; dann der Letzte, Félicien VII., der ihr sein blondes Haupt zuwandte. Er war der Nachkomme der Vettern der Heiligen Jungfrau, der Herr, der holdseligste Jesus, der sich neben seinem Vater in seiner Herrlichkeit offenbarte.
    Gerade lächelte Félicien ihr zu, und sie bemerkte den ärgerlichen Blick des Bischofs nicht, der sie soeben entdeckt hatte, wie sie da über der Menge auf dem Stuhl stand, mit blutdurchglühten Wangen, stolz und leidenschaftlich.
    »Ach, mein armes Kind!« seufzte Hubertine verzweifelt.
    Doch die Kapläne und Akolythen hatten sich rechts und links aufgestellt, und der Diakon, der das Allerheiligste aus den Händen des Bischofs genommen hatte, stellte es auf den Altar. Jetzt kam der Schlußsegen, die Vorsänger sangen aus voller Lunge »Tantum ergo sacramentum«106, aus den frisch nachgefüllten

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