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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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...«
    Sie lachte, und er wurde ebenfalls heiter.
    »Ich bin ein Arbeiter wie Sie, ich hatte schon beschlossen, meinen Lebensunterhalt mit dem Malen von Kirchenfenstern zu verdienen, da brach all dieses Geld plötzlich über mich herein ... Und mein Vater zeigte sich dann sehr bekümmert, als mein Onkel ihm schrieb, daß ich ein teuflischer Kerl sei, daß ich niemals in den Orden eintreten würde! Es war sein ausdrücklicher Wille, mich als Priester zu sehen, vielleicht steckte der Gedanke dahinter, ich würde dadurch den Mord an meiner Mutter sühnen. Er hat jedoch nachgegeben, er hat mich zu sich gerufen ... Ach, leben, leben, wie ist das schön! Leben, um zu lieben und geliebt zu werden!« Seine gesunde und unberührte Jugend schwang in diesem Schrei, von dem die ruhige Nacht erschauerte. Er war ganz Leidenschaft, die Leidenschaft, durch die seine Mutter gestorben, die Leidenschaft, die ihn in diese aus dem Geheimnis erblühte erste Liebe gestürzt hatte. Sein ganzes jugendliches Ungestüm ergoß sich darein, seine Schönheit, seine Redlichkeit, seine Unwissenheit und sein gieriges Verlangen nach dem Leben. »Mir ging es wie Ihnen, ich wartete, und in der Nacht, da Sie sich an Ihrem Fenster zeigten, habe ich Sie ebenfalls erkannt ... Sagen Sie mir, was Sie träumten, erzählen Sie mir, wie Ihre Tage früher verliefen.«
    Doch wieder verschloß sie ihm den Mund.
    »Nein, sprechen wir von Ihnen, nur von Ihnen. Ich möchte, daß nichts von Ihnen mir verborgen bleibt ... Daß ich Sie ganz erfasse, ganz liebe!«
    Und sie wurde es nicht überdrüssig, ihn von sich sprechen zu hören, in ihrer verzückten Freude, ihn kennenzulernen, in Anbetung versunken wie ein heiliges Mädchen, das Jesu zu Füßen liegt. Und keiner von beiden wurde es müde, unendliche Male dieselben Dinge zu wiederholen, wie sie sich einst geliebt hatten, wie sie sich nun liebten. Die gleichen Worte kehrten wieder, immer wieder neu und voller unvorhergesehener, unergründlicher Bedeutungen. Ihr Glück wuchs, wenn sie sich darein versenkten, wenn sie die Musik auf ihren Lippen kosteten. Er bekannte ihr, wie groß der Zauber war, in dem sie ihn allein mit ihrer Stimme hielt, sie ging ihm so zu Herzen, daß er nur noch ihr Sklave war, wenn er sie bloß hörte. Sie gestand die köstliche Furcht ein, in die er sie versetzte, wenn sich seine so weiße Haut beim geringsten Zorn mit einer Blutwoge purpurn färbte. Und sie hatten jetzt die dunstigen Ufer des ChevrotteBaches verlassen, sie gingen in den dunklen Hochwald der großen Ulmen und hielten einander umfaßt.
    »Oh, dieser Garten!« murmelte Angélique, die Frische genießend, die vom Laubwerk herniedersank. »Seit Jahren ist es mein Wunsch, hier zu gehen ... Und da bin ich nun mit Ihnen, da bin ich nun!«
    Sie fragte ihn nicht, wohin er sie führte, sie überließ sich seinem Arm in der Finsternis der hundertjährigen Stämme. Die Erde war weich unter den Füßen, die Blättergewölbe verloren sich in großer Höhe wie Kirchengewölbe. Kein Laut, kein Hauch, nichts als das Schlagen ihrer Herzen.
    Endlich stieß er die Tür eines Gartenhäuschens auf und sagte zu ihr:
    »Treten Sie ein, Sie sind bei mir zu Hause.«
    Ihn hier in diesem entlegenen Winkel des Parks unterzubringen, hatte sein Vater für angebracht gehalten.
    Unten befand sich ein großer Salon; oben eine vollständige Wohnung. Eine Lampe erhellte den weiten Raum des Erdgeschosses.
    »Sie sehen schon«, begann er wieder mit einem Lächeln, »daß Sie bei einem Handwerker sind. Hier ist meine Werkstatt.«
    Das war tatsächlich eine Werkstatt, die Laune eines reichen jungen Mannes, der am Handwerk, an der Glasmalerei, Vergnügen fand. Er hatte die alten Verfahren aus dem dreizehnten Jahrhundert wiedergefunden, er konnte sich für einen jener ursprünglichen Glasmacher halten, die mit den armseligen Mitteln ihrer Zeit Meisterwerke hervorbrachten. Ihm genügte die alte, mit geschmolzener Kreide überzogene Tafel, auf der er mit Rot zeichnete und das Glas mit dem heißen Eisen zurechtschnitt, weil er dazu den Diamanten verschmähte. Gerade war die Muffel, ein kleiner, einer Zeichnung nachgebildeter Ofen, beschickt; das Einbrennen für die Ausbesserung eines anderen Fensters der Kathedrale wurde dort beendet; und in Kisten lagen da noch Gläser in allen Farben, die er wohl für sich anfertigen ließ, blaue, gelbe, grüne, rote, fahle, jaspisartige, angerauchte, dunkle, perlmuttfarbene, leuchtende. Doch der Raum war mit herrlichen Stoffen

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