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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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weil sie nun nichts mehr zu verbergen hatte.
    »Ach, Mutter, es ist abgemacht! – Wir werden heiraten, ich freue mich so!«
    Bevor Hubertine antwortete, schaute sie sie fest und prüfend an. Doch ihre Befürchtungen schwanden angesichts dieser blühenden Jungfräulichkeit, dieser klaren Augen, dieser reinen Lippen. Aber es blieb ihr ein großer Kummer, Tränen rannen über ihre Wangen.
    »Mein armes Kind!« murmelte sie wie tags zuvor in der Kirche.
    Angélique, die überrascht war, sie so zu sehen, sie, die sonst so Ausgeglichene, die niemals weinte, schrie laut auf:
    »Was ist denn? Mutter, Ihr macht Euch Kummer ... Es ist wahr, ich bin garstig gewesen, ich habe ein Geheimnis vor Euch gehabt. Aber wenn Ihr wüßtet, wie schwer es auf mir gelastet hat! Zuerst spricht man nicht, dann wagt man es nicht mehr ... Ihr müßt mir verzeihen.«
    Sie hatte sich neben sie gesetzt und liebkosend einen Arm um sie gelegt. Die alte Bank schien sich in diesem bemoosten Winkel der Kathedrale zu verkriechen. Der Flieder breitete Schatten über ihre Häupter; und es wuchs dort jener wilde Rosenstock, den das junge Mädchen pflegte, um zu sehen, ob er nicht eines Tages edle Rosen tragen würde; doch da er seit einiger Zeit vernachlässigt wurde, kümmerte er dahin, kehrte zum wilden Zustand zurück.
    »Mutter, ich werde Euch alles sagen, aber ins Ohr!« Mit halber Stimme erzählte sie ihr nun von ihrer beider Liebe in einer Flut von unversiegbaren Worten, wobei sie die geringsten Begebenheiten noch einmal erlebte und bei diesem Wiedererleben in Feuer geriet. Sie ließ nichts aus, erforschte ihr Gedächtnis wie für eine Beichte. Und sie war darob keineswegs befangen, das Blut der Leidenschaft erhitzte ihre Wangen, eine Flamme des Stolzes entbrannte in ihren Augen, ohne daß sie die flüsternde und glutvolle Stimme hob.
    Hubertine unterbrach sie schließlich, sprach auch ganz leise:
    »Nun, nun, da geht deine Phantasie ja wieder mit dir durch! Deine guten Vorsätze, dich zu bessern, werden immer wieder davongeweht wie von einem starken Wind ... Ach, du hoffärtiges, du leidenschaftliches Geschöpf, du bist immer noch das kleine Mädchen, das sich weigert, die Küche aufzuwischen, und das seine eigenen Hände küßt.«
    Angélique mußte lachen.
    »Nein, lach nicht, bald wirst du nicht genug Tränen zum Weinen haben ... Niemals wird diese Heirat zustande kommen, mein armes Kind.«
    Jetzt platzte sie fröhlich heraus mit einem klangvollen, anhaltenden Lachen.
    »Mutter, Mutter, was sagt Ihr da? Wollt Ihr mich damit necken und strafen? – Es ist doch ganz einfach! Heute abend wird er mit seinem Vater darüber sprechen. Morgen wird er kommen, um alles mit Euch zu regeln.«
    Sie bildete sich das also wirklich ein? Hubertine mußte ihr unerbittlich die Wahrheit sagen. Eine kleine Stickerin ohne Geld, ohne Namen, die wollte Félicien d˜Hautecœur heiraten! Einen jungen Mann mit fünfzig Millionen Vermögen! Den letzten Sproß eines der ältesten Geschlechter Frankreichs!
    Doch bei jedem neuen Hindernis erwiderte Angélique seelenruhig:
    »Warum nicht?«
    Das würde einen wahren Skandal geben, eine Heirat, bei der alle üblichen Voraussetzungen zum Glück fehlten. Alles würde sich erheben, um diese Heirat zu verhindern. Sie wolle also gegen alles kämpfen?
    »Warum nicht?«
    Es werde erzählt, der Bischof sei stolz auf seinen Namen, sei streng gegenüber Liebesabenteuern. Konnte sie hoffen, ihn zu erweichen?
    »Warum nicht?« Und unerschütterlich in ihrem Glauben, fügte sie hinzu: »Es ist komisch, Mutter, wie Ihr die Welt für schlecht haltet! Wenn ich Euch doch sage, daß alles gut gehen wird! – Vor zwei Monaten schaltet Ihr mich, zogt Ihr mich auf, erinnert Euch nur daran, und doch hatte ich recht, alles, was ich ankündigte, ist eingetroffen.«
    »Aber, du Unglückselige, warte das Ende ab!« Hubertine war untröstlich, wurde gepeinigt von ihren Gewissensbissen, Angélique in solchem Maße unwissend gelassen zu haben. Sie hätte mit ihr über die harten Lehren der Wirklichkeit sprechen, sie über die Grausamkeiten, die Abscheulichkeiten der Welt aufklären müssen, aber sie war um die nötigen Worte verlegen. Wie traurig, wenn sie sich eines Tages anklagen müßte, das Unglück dieses Kindes verschuldet zu haben, das so abgeschlossen, in der stetigen Lüge des Traumes erzogen worden war! »Sieh einmal, mein Liebling, du wirst doch diesen jungen Mann nicht gegen unser aller Willen, gegen den Willen seines Vaters heiraten

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