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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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wollen.«
    Angélique wurde ernst, schaute ihr ins Gesicht, sprach dann feierlich:
    »Warum nicht? Ich liebe ihn, und er liebt mich.«
    Mit beiden Armen umschlang ihre Mutter sie wieder, zog sie wieder an sich; und bittend schaute auch sie Angélique an, ohne weiterzusprechen. Der verschleierte Mond war hinter der Kathedrale verschwunden, die fliegenden Nebel am Himmel röteten sich schwach beim Nahen des Tages. Die beiden Frauen badeten in dieser morgendlichen Reinheit, in der großen, kühlen Stille, die allein durch das leise Gezwitscher der erwachenden Vögel unterbrochen wurde.
    »Oh, mein Kind! Nur die Pflicht und der Gehorsam bringen Glück. Man leidet sein ganzes Leben lang durch eine Stunde der Leidenschaft und des Hochmuts. Wenn du glücklich sein willst, unterwirf dich, verzichte und halte dich zurück ...« Aber sie fühlte, wie Angélique sich in ihrer Umarmung auflehnte, und was sie ihr niemals gesagt hatte, was ihr zu sagen sie noch zögerte, kam unversehens über ihre Lippen: »Hör zu, du hältst uns für glücklich, Vater und mich. Wir wären glücklich, wenn nicht ein quälendes Leid unser Leben zuschanden gemacht hätte ...« Sie senkte die Stimme noch mehr, sie erzählte ihr mit stockendem Atem ihre Geschichte, erzählte von der Heirat gegen den Willen ihrer Mutter, vom Tod des Kindes, von dem Wunsch nach einem weiteren Kind, der zur Strafe für ihr Vergehen unerfüllt blieb. Indessen liebten sie einander leidenschaftlich, sie lebten anspruchslos von der Arbeit; und sie waren unglücklich, es wäre darüber sicherlich zu Streitigkeiten gekommen, zu einem höllischen Leben, vielleicht zu einer gewaltsamen Trennung, wenn sie sich nicht beide soviel Mühe gegeben hätten, er nicht so gütig und sie nicht so vernünftig wäre. »Überlege, mein Kind, laß nichts in dein Dasein ein, worunter du später leiden könntest ... Sei demütig, gehorche, bringe das Blut deines Herzens zum Schweigen.«
    Überwältigt hörte Angélique ihr zu, war ganz bleich geworden und kämpfte gegen die Tränen an.
    »Mutter, Ihr tut mir weh ... Ich liebe ihn, und er liebt mich.« Und ihre Tränen flossen. Sie war erschüttert, gerührt durch dieses Geständnis. Aus ihren Augen sprach Verstörtheit, denn sie war gleichsam verletzt durch dieses flüchtig erblickte Stückchen Wahrheit. Aber sie gab nicht nach. Sie wäre so gern an ihrer Liebe gestorben!
    Da faßte Hubertine einen Entschluß.
    »Ich wollte dir nicht soviel Schmerz auf einmal bereiten. Du mußt das jedoch wissen ... Gestern abend, als du nach oben gegangen warst, habe ich Abbé Cornille ausgefragt und erfahren, warum der hochwürdigste Herr Bischof, der sich so lange dagegen sträubte, geglaubt hat, seinen Sohn nach Beaumont rufen zu müssen ... Eine seiner großen Sorgen war das jugendliche Ungestüm des jungen Mannes, der Drang, den er an den Tag legte, außerhalb jeglicher Ordnung zu leben. Nachdem er schmerzlich darauf verzichtet hatte, ihn Priester werden zu lassen, hoffte er nicht einmal mehr, ihn irgendeiner seinem Rang und seinem Vermögen entsprechenden Tätigkeit zuzuführen. Er würde immer nur ein Leidenschaftsmensch, ein Narr, ein Künstler bleiben ... Und da hat er ihn, da er Herzenstorheiten fürchtete, hierherkommen lassen, um ihn sogleich zu verheiraten.«
    »Nun und?« fragte Angélique, die noch immer nicht begriff.
    »Eine Heirat war schon vor seiner Ankunft geplant, und alles scheint heute geregelt zu sein. Abbé Cornille hat mir ausdrücklich gesagt, daß der Sohn des Bischofs im Herbst Mademoiselle Claire de Voincourt heiraten soll ... Du kennst ja das vornehme Haus der Voincourts dort neben dem Bischofspalast. Sie verkehren sehr eng mit dem hochwürdigsten Herrn Bischof. Auf beiden Seiten konnte man es sich nicht besser wünschen, weder was den Namen noch was das Geld betrifft. Der Abbé billigt diese Verbindung sehr.«
    Das junge Mädchen hörte bei diesen Standesrücksichten überhaupt nicht mehr zu. Ein Bild war jäh vor Angéliques Augen aufgetaucht, das Bild Claires. Sie sah sie wieder vorübergehen, so wie sie sie manchmal im Winter unter den Bäumen ihres Parks erblickte, so wie sie sie an den Hochfesten in der Kathedrale wiederfand: ein großes, sehr schönes, brünettes Fräulein in ihrem Alter, dessen Schönheit auffallender war als die ihre, mit einem königlich vornehmen Gang. Es wurde erzählt, sie sei sehr gütig, trotz ihres kühlen Wesens.
    »Dieses so schöne, so reiche große Fräulein ... Das heiratet er ...« Sie

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