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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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ganz weiß aus.
    Schließlich war ein Geräusch zu vernehmen. Und auf dem Balkon erschien Félicien, zitternd, ausgezehrt wie sie. Sein Gesicht wirkte verstört, er stürzte ins Zimmer, als er sie erblickte, so im Sessel zusammengesunken, erbarmungswürdig und so schön. Unendlicher Schmerz preßte ihm das Herz zusammen, er kniete nieder, versank in kummervolle Betrachtung. So war sie denn nicht mehr, die Krankheit hatte sie also zerstört, daß es ihm vorkam, als habe sie kein Gewicht mehr und liege dort wie eine Feder, die der Wind gleich entführen werde. In ihrem lichten Schlummer sah man ihr Leid und ihre Entsagung. Er erkannte sie nur an ihrer lilienhaften Anmut, am Emporschwingen ihres zierlichen Halses über den abfallenden Schultern, dem länglichen, verklärten Antlitz einer zum Himmel auffahrenden Jungfrau. Das Haar war nur noch Licht, die schneeige Seele glänzte unter der durchscheinenden Seide der Haut. Sie hatte die Schönheit der von ihrer Fleischlichkeit erlösten Heiligen, er war davon geblendet, war darüber verzweifelt und so ergriffen, daß er reglos mit gefalteten Händen verharrte. Sie erwachte nicht, er betrachtete sie noch immer.
    Ein leichter Hauch von Féliciens Lippen strich wohl über Angéliques Gesicht. Plötzlich schlug sie ganz weit die Augen auf. Sie rührte sich nicht, sie schaute ihn an und lächelte wie im Traum. Er war es, sie erkannte ihn wieder, obgleich er sich verändert hatte. Doch sie glaubte noch zu schlummern, denn es kam vor, daß sie ihn im Schlaf so sah, was dann beim Erwachen ihren Gram noch verschlimmerte.
    Er hatte die Hände zu ihr ausgestreckt, er sprach.
    »Teure Seele, ich liebe Sie ... Man hat mir gesagt, daß Sie leidend sind, da bin ich herbeigeeilt ... Hier bin ich nun, ich liebe Sie.«
    Sie erbebte, mit einer mechanischen Bewegung strich sie mit den Fingern über ihre Augenlider.
    »Zweifeln Sie nicht mehr ... Ich bin hier, liege Ihnen zu Füßen, und ich liebe Sie, ich liebe Sie noch immer.«
    Da schrie sie auf:
    »Ach, Sie sind gekommen! – Ich habe Sie nicht mehr erwartet, und nun sind Sie gekommen ...« Mit ihren unsicher tastenden Händen hatte sie die seinen ergriffen, sie vergewisserte sich, daß er kein Trugbild des Schlafes war. »Sie lieben mich noch immer, und ich liebe Sie, ach, mehr als ich glaubte, jemals lieben zu können!«
    Es war ein Glückstaumel, eine erste Minute vollkommener Seligkeit, in der sie alles vergaßen, um sich nur der Gewißheit hinzugeben, sich noch zu lieben und es einander zu sagen. Die Leiden von gestern, die Hindernisse von morgen waren verschwunden; sie wußten nicht, wie es kam, daß sie hier waren, aber sie waren hier, sie ließen ihre süßen Tränen ineinanderrinnen, sie hielten einander in keuscher Umarmung umschlungen, er außer sich vor Mitleid, sie so abgezehrt durch den Kummer, daß er nur einen Hauch von ihr in seinen Armen hielt.
    Verzaubert durch diese Überraschung, verharrte sie wie gelähmt, ganz benommen und glückselig in den Sessel gelehnt, ihrer Glieder nicht mächtig, und sie richtete sich halb auf, nur um in der Trunkenheit ihrer Freude wieder zurückzusinken.
    »Ach, teurer Gebieter, mein einziger Wunsch ist erfüllt: ich habe Sie wiedergesehen, ehe ich sterbe.«
    Er hob wieder den Kopf und machte eine angstvolle Gebärde.
    »Sterben! – Aber ich will nicht, daß Sie sterben! Ich bin da, ich liebe Sie.«
    Sie lächelte überirdisch.
    »Oh, ich kann getrost sterben, da Sie mich lieben. Das Sterben schreckt mich nicht mehr, ich würde so an Ihrer Schulter einschlafen ... Sagen Sie mir noch einmal, daß Sie mich lieben.«
    »Ich liebe Sie, wie ich Sie gestern liebte, wie ich Sie morgen lieben werde ... Zweifeln Sie niemals daran, ich liebe Sie in alle Ewigkeit.«
    Verzückt schaute Angélique vor sich hin in das Weiß des Raumes. Doch allmählich kam sie zu sich und wurde ernst. Sie dachte schließlich nach in dieser großen Glückseligkeit, die sie benommen gemacht hatte. Und was geschehen war, setzte sie in Erstaunen.
    »Wenn Sie mich lieben, warum sind Sie dann nicht gekommen?«
    »Ihre Eltern haben mir gesagt, Sie fühlten keine Liebe mehr für mich. Fast wäre auch ich darüber gestorben ... Und als ich erfahren habe, daß Sie krank sind, habe ich diesen Entschluß gefaßt, selbst wenn man mich aus diesem Hause verjagen sollte, dessen Tür man vor mir verschloß.«
    »Meine Mutter sagte mir auch, daß Sie mich nicht mehr liebten, und ich habe meiner Mutter geglaubt ... Ich habe Sie mit diesem

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